Dunkle Träume (Wächterschwingen) (German Edition)
Inkubus kannte er keine Scheu, sich von Schlafenden zu nehmen, was er wollte, doch bei Jamie fühlte sich das nicht richtig an. Außerdem wollte er seinen Körper nicht noch mehr schwächen. Wenn Nick sämtliche Energien aus ihm saugte, immer und immer wieder, kön n te ihn das töten.
Mit der Hand fuhr er in Jamies braunes Haar, um seinen Kopf in Position zu halten. Dann legte Nick noch eine seiner Schwingen um ihn wie eine Zudecke und schloss die Augen. Es wurde Zeit, Zorell einen Besuch abzustatten.
Als Nick die Augen aufschlug, befand er sich in einem Raum, den er nicht kannte. Es war ein Jugendzimmer unter dem Dach, eingeric h tet mit Bett, Schreibtisch, Stereoanlage und einem dieser älteren Computermodelle, die einen dicken Monitor besaßen. An den Wä n den hingen gerahmte Poster von Leuten, die Nick nicht kannte, und in dem Bett schlief … ein Junge?
Nick eilte zu ihm. Das war eindeutig Jamie, doch er war nicht älter als dreizehn, obwohl er schon so groß war wie ein ausgewachsener Mann. Keine Narben zeichneten seine Wange. Wie friedlich er au s sah. Nick streichelte durch sein kurzes Haar und küsste ihn auf die Stirn. Dann schlich er zur Zimmertür, öffnete sie einen Spalt und lugte in den Flur. Niemand war zu sehen, allerdings hörte er Sti m men, die aus der unteren Etage zu kommen schienen.
Hastig schaute er sich im oberen Stockwerk um und fand ein we i teres Jugendzimmer, das eine weiblichere Note besaß, und ein E l ternschlafzimmer. Beide Räume waren verwüstet. Auf dem Boden lag ein Foto, das offensichtlich die Familie zeigte, die in dem Haus wohnte. Es war Jamies Familie. Nick erkannte Noir, die auf dem Bild nicht älter als fünfzehn war und hellblondes Haar hatte, genau wie ihr Vater. Nick hatte das braune Haar von der Mutter geerbt.
Jamies Rückzugsort war also das Haus, in dem er aufgewachsen war. Nick schlich die schmalen Treppen nach unten, von wo er Stimmen hörte, und landete im Chaos. Als wäre ein Wirbelwind durch die Räume gefegt. Sämtliche Schubladen und Schränke sta n den offen und der Inhalt lag überall verstreut. Ein kl o biges Telefon mit einem dicken Akku lag zerschmettert neben der Wand, dazw i schen überall Glasscheiben, Holzstücke und zerrissene Fotos der zerschlagenen Bilderrahmen.
Nick versteckte sich neben der Tür und lugte in den Wohnraum. Zwischen all den Sachen saß ein seltsames, nacktes Wesen vor der Wohnzimmercouch auf dem Boden. Die Kreatur sah wie Gollum aus Herr der Ringe aus. Zorell! Er war ein hageres graues Etwas mit spinnenartigen Fingern, trug unverkennbar Jamies Gesichtszüge und starrte in den Fernseher, ein älteres Modell mit Bildröhre. Zorell drehte ihm den Rücken zu, daher konnte Nicolas erkennen, was er sich ansah. Im Moment rauschte das Bild und der Zash wüh l te einen Haufen Videokassetten durch, die vor dem TV-Rack auf dem Boden lagen. Sie waren mit schiefen Buchstaben beschriftet. Der Dämon zog eine hervor, auf der Noir stand, und schob sie in den Videor e korder. Ein Film begann zu laufen. Zu Nicks Entsetzen zeigte er die Hexe, wie sie lachend auf die Kamera zurannte. Das Bild wackelte, dann hörte er ihre Stimme und blickte auf ein Schwarz-Weiß-Bild, auf dem er nur helle und dunkle Flecken e r kannte.
»Sieh nur, Jamie, dieser kleine Punkt ist dein Neffe.«
Oh mein Gott! Nick hielt die Luft an. Zorell hatte einen Weg g e funden, an Jamies Erinnerungen zu kommen. Normalerweise konnte der Dämon nicht seine Gedanken anzapfen, sondern bekam nur das mit, was er erlebte, wenn er Jamies Bewusstsein in den Hintergrund drängte.
Nick hörte den Zash lachen. Der Dämon rieb sich die Hände und sprang wie Rumpelstilzchen auf der Couch herum. »Bald gehört mir das Kind!«, rief er wie e in Irrer. »Bald, bald, bald!«
Nick riss die Augen auf; eiskalt lief es ihm den Rücken hinunter. Er schwitzte und atmete schwer, während Jamie neben ihm weiterhin selig schlief.
Der Zash wollte Noirs Baby!
Nicks Gehirn arbeitete auf Hochtouren und kam nur auf eine L ö sung: Der Dämon wollte einen neuen Körper, einen, den er von B e ginn an formen konnte, den er verderben würde und nur für sich hatte. Das würde bedeuten: Sobald er Jamies Körper verließ, würde der Kleine sterben. Ceros hatte ihm seine Seele genommen, ihn aber nicht zum Dämon gewandelt. Ohne Seele wäre Jamie eine leere Hü l le und nicht lange lebensfähig.
Eine Stahlklammer legte sich um sein Herz. Jetzt verstand er, w a rum Jamie sich hatte umbringen wollen. Um
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