Dunkle Verlockung (German Edition)
ist mir klar, auch wenn ich es nicht erklären könnte. Aber du hast doch tagelang auf der Krankenstation gearbeitet.« Ein schwaches Neugeborenes, nach fünf langen Jahren das erste Kind, das in der Zufluchtsstätte zur Welt gekommen war, hatte nach Keirs Aufmerksamkeit verlangt. »Wie geht es dem Baby?« Keir hatte Besuche strikt verboten – weil die Hallen der Heilung sonst unter unzähligen Flügeln begraben worden wären.
»Mit ihrem wütenden Geschrei hat sie mich mitten in der Nacht zu sich gerufen. Sie mag zwar winzig sein, aber es gefällt ihr nicht, ignoriert zu werden. Ich glaube, unsere kleine Elfe wird mal ein Krieger.« Mit dem funkelnden Leuchten in seinen Augen, das so typisch für ihn war, beugte sich Keir nach vorn und stützte sich auf die glänzende Tischplatte. »Und was deinen Grobian angeht – du hast ihm erlaubt, dich zu fliegen. Hast du geglaubt, das würde niemand bemerken?«
Jessamy schluckte. »Es ist unmöglich, Keir.«
»Warum?«
Sie zwang sich, ihre Faust zu lösen und dem warmen Blick aus seinen schräg stehenden, braunen Augen standzuhalten, während sie an der Kruste ihrer schlimmsten Wunde riss. »Ich glaube, er will mich wirklich«, sie musste an seine harte Erektion an ihrem Bauch denken, an seinen hungrigen Mund auf ihrem, an seine Hand, die mit männlicher Besitzgier nach ihrem Kinn griff, »und ich werde nicht leugnen, wie tief auch ich mich zu ihm hingezogen fühle.« Was für ein farbloses Wort, um die Wildheit dessen auszudrücken, was Galen in ihr erregt hatte.
»Und doch hält dich etwas zurück.«
»Ich weiß, dass ich zu weit vorausdenke«, sie rieb sich mit der Hand übers Herz, ein vergeblicher Versuch, den Schmerz darin zu stillen, »ich kann nicht anders, als mir seine Verbitterung vorzustellen, wenn er erkennt, was es bedeutet, mit mir zusammen zu sein: dass ihm die Flügel gestutzt werden und seine Erblinie ein Ende nimmt.« Denn Jessamy würde niemals das Risiko eingehen, ein Kind derselben schmerzhaften Existenz auszusetzen, die sie hatte ertragen müssen. »Ich will nicht das Gewicht sein, das ihn an den Boden bindet.«
Als Keir antwortete, war sein Ton sanft, seine Worte jedoch erbarmungslos. »Galen sieht mir nicht wie ein Mann aus, dem es an Mut fehlt. Dass du so etwas über ihn sagst, lässt dich in meinem Ansehen sinken, meine alte Freundin.«
Eiskalt lief es ihr den Rücken hinunter, denn Keirs Worte waren das schmerzhafte Echo dessen, was Galen auf dem Felsvorsprung vor seinem Quartier gesagt hatte. »Du nennst mich einen Feigling«, flüsterte sie heiser. »Du behauptest, ich würde mich hinter meinem Flügel verstecken.«
7
»Das habe ich nicht gesagt, aber du hast es so gehört.« Keir streckte die Hand über den Tisch und schloss sie um Jessamys. Seine Haut war so weich, so ganz anders als die raue Berührung eines anderen Mannes. »Siehst du dich selbst so?«
Gefühle schnürten ihr die Kehle zu, zerrissen ihr die Brust und ließen ihre Stimme heiser klingen. »Ich treffe die richtige Entscheidung; das musst du verstehen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ich mich ihm öffne und zurückgewiesen würde.« Nicht bei diesem Barbar, der sie wahnsinnig machte, sie zur Weißglut trieb und einfach so großartig war, der sie ansah, als wäre sie wunderschön. Denn er weckte Träume in ihr, die sie tief begraben hatte, damit sie überleben und zufrieden sein konnte, anstatt zu einer verbitterten, von Neid zerfressenen Kreatur zu werden.
Mit liebevoller Miene sah Keir sie an. »Wir alle lernen, mit einem gebrochenen Herzen zu leben.« Er ließ ihre Hand los, um aufzustehen und sich hinter ihren Stuhl zu stellen. Dann beugte er sich vor, nahm sie in die Arme und schmiegte seine Wange in ihr Haar. »Dein Nachteil ist, dass du dem nicht in jungen Jahren ausgesetzt warst, als du noch widerstandsfähiger warst. Jetzt, liebe Jessamy, glaube ich, hast du Angst.«
Sie schluckte den Knoten in ihrer Kehle herunter, als sie die Hand auf seine geschmeidigen Armmuskeln legte. »Wie sollte ich denn keine Angst haben? Mein Leben ist anders verlaufen als das der anderen, die einfach nach Lust und Laune den Himmel berühren konnten.« Sie hatte lernen müssen, mit dieser Trostlosigkeit zu leben, mit einem schmerzhaften Verlust, den kein anderer Engel nachempfinden konnte; und diese Zeit hatte sie innerlich mürbe gemacht. »Habe ich meinen Frieden denn nicht verdient?«
Keirs Lippen streiften ihren Hals, und sein Duft streichelte schwach über ihre Sinne.
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