Dunkle Verlockung (German Edition)
»Du hast niemals Frieden gewollt, meine Liebe. Die Frage ist nur: Bist du stark genug, um das, was du willst, zu ergreifen, auch wenn auf das Glück furchtbarer Kummer folgen könnte?«
Während seine letzten Worte noch in der Luft hingen, ging die Tür auf und davor stand nicht etwa Jason, sondern Galen, dessen meergrüne Augen vor Wut glühten. »Du kannst jetzt wieder an der Schule unterrichten«, sagte er. »Illium und Jason werden dabei sein, um deine Sicherheit und die deiner Schüler zu gewährleisten.« Nach dieser knappen Bekanntmachung war er auch schon wieder verschwunden.
Ihre Hand schloss sich fester um Keirs Arm. »Er denkt, wir sind zusammen.« Nur zu leicht hätte sie ihn in dem Glauben lassen können, sie sei eine Lügnerin und zudem eine Frau, die ihren Geliebten mit einem glutheißen Kuss und Hunderten verstohlener Blicke betrogen hatte.
Ihr Magen zog sich zusammen und ihre Eingeweide gerieten in Aufruhr. »Lass mich aufstehen, Keir.« Als ihr Freund sie losließ, stand sie auf und schüttelte ihre Röcke aus. »Die Angst liegt mir wie Blei auf der Zunge – ich kenne ihn erst seit so kurzer Zeit, und doch bin ich sicher: Sollte ich mich auf sein Werben einlassen, wird es einen Teil von mir zerstören, wenn er geht.«
Keir streckte die Hand aus, um ihr eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen. »Wir alle tragen etwas Zerbrochenes in uns.« Ruhig. Kraftvoll. »Niemand geht mit einem unversehrten Herzen durchs Leben.« In seinen Augen lag eine so tiefgründige Weisheit, wie sie ein Mann, der nur dreihundert Jahre älter war als sie, eigentlich nicht besitzen konnte. Es war eine Weisheit, die in ihre Seele blickte und das Salz ihrer Einsamkeit schmeckte.
Doch eines sahen Keirs Augen nicht, dachte sie, als sie die Bibliothek verließ und Jason sie als lautloser Schatten begleitete, dass ihr Herz nämlich nicht unversehrt war. Es war vor langer, langer Zeit gebrochen worden – als sie zum ersten Mal zum Himmel aufgesehen und erkannt hatte, dass er für alle Zeit außerhalb ihrer Reichweite lag. Der Mut, den es sie kostete, noch einmal nach den Sternen zu greifen, war ein enges, raues Gefühl in ihrer Brust, an den Rändern schartig von den Scherben Tausender zerplatzter Träume.
Mit einer rasenden Folge von Fußtritten und harten Schwerthieben brachte Galen beide Vampire zu Boden. »Ihr habt den gleichen Fehler zweimal gemacht«, sagte er, sobald sie nach dem scharfen Schlag mit der Klinge wieder klar sehen konnten. »Ich habe euch gewarnt.« Zweite Warnungen gab es in seiner Welt nicht.
Die beiden kamen mühsam auf die Füße und nickten. Einer wischte sich Blut aus dem Mundwinkel. Doch keiner erhob Einwände, als Galen sie aufforderte, die Übung noch einmal durchzugehen. Diesmal waren sie so sehr damit beschäftigt, ihren ersten Fehler nicht zu wiederholen, dass sie einen anderen begingen. Weil Galen merkte, dass beide Männer erschöpft waren, hielt er sich zurück und ordnete eine Pause an. »Geht«, sagte er. »Morgen arbeitet ihr einzeln und gegeneinander weiter. Übermorgen treten wir zum nächsten Übungskampf gegeneinander an.«
Der jüngere Vampir zögerte. »Wir wollen uns verbessern.« Sein Partner nickte.
Es beeindruckte ihn, dass sich die beiden nach der Abreibung, die er ihnen verpasst hatte, nicht schnellstmöglich aus dem Staub machten. Deshalb zwang er sich zu sprechen, obwohl in seinem Körper ein gewaltiger Sturm der Wut tobte. »Das werdet ihr. Geht die Schritte, die ich euch zu Beginn gezeigt habe, wieder und wieder durch, bis euch die Bewegungen in Fleisch und Blut übergegangen sind.« Galen hatte selbst unzählige Stunden damit zugebracht, solche Übungen zu absolvieren, und kannte ihren Wert. »Es ist ein wichtiger Bestandteil des Kämpfens, dass ihr reagiert, ohne darüber nachzudenken – ihr müsst eure Muskeln darauf trainieren, sich die Bewegungen einzuprägen.«
Die Vampire stellten noch einige kluge Fragen und gingen dann; die Entschlossenheit war deutlich auf ihren Gesichtern abzulesen.
Schon vor einer ganzen Weile hatte eine Zuschauerin in einem eleganten Kleid in kühlem Gelb die Halle betreten, doch er schenkte ihr noch immer keine Beachtung. Stattdessen hob er sein Breitschwert auf und absolvierte ein kompliziertes Programm, das seinen Gegner im Handumdrehen in winzige Stücke zerlegt hätte. Weil er so groß und schwer aussah, unterschätzten viele seine Schnelligkeit. Tatsächlich glaubte er, dass von Raphaels Männern nur Illium schneller war als
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