Dunkle Verlockung (German Edition)
geführt und die Welt dadurch vor unvorstellbaren Schrecken bewahrt. Wenn es wieder zu einer solchen Prüfung käme – nicht die unbedeutenden Streits oder Kämpfe, die aus Stolz und Macht entstanden, sondern eine wirkliche Frage von Gut und Böse –, glaube ich, würdest du auf der richtigen Seite stehen.
Er lächelte matt . Du bist so jung, Jessamy. Manche würden dich sogar als töricht bezeichnen.
Hat man das Gleiche nicht von dir behauptet, als du dich zwischen zwei Uralte gestellt hast, die Krieg gegeneinander führten?
Sein Lachen klang tief und echt, wie flüssiges Silber. Komm, mein junges Mädchen. Geh ein Stück mit mir und erzähle mir Geschichten aus der Zeit, als ich ein heißblütiger Jüngling war.
Die bittersüße Erinnerung brachte sie zum Lächeln, als sie sich an Galen schmiegte. Wenn dieser Mann je beschließen sollte, sich schlafen zu legen, würde er ihr Herz in unzählige Scherben zerbrechen. Als die Engel aus ihrem Blickfeld verschwanden und die Vampire schon längst von den dunkelgrünen Wäldern verschluckt worden waren, die den Turm umgaben, sagte sie: »So hast du dir den Anfang deines Lebens in Raphaels Diensten wohl nicht vorgestellt.«
Er schlang den Arm um ihre Taille und hielt damit ihre Flügel auf ihrem Rücken gefangen. »Ich bin, wie ich bin, Jessamy.« Ruhige Worte. »Krieg und Waffen werden immer ein Teil meines Lebens sein.«
»Ich weiß – ich fühle mich nicht zu einem Fantasiemann hingezogen, Galen.« Sie versuchte sich an die unwirkliche Hoffnung zu klammern, dass vielleicht das der Grund für die unterschwellige Distanz war, die er zwischen ihnen aufrechterhielt, eine schmerzhafte Distanz. Denn wenn es so war, konnte sie etwas dagegen tun. »Ich habe von Anfang an gesehen, wer du bist, und ich will niemand anderen als dich.«
In einer beschützenden Geste, die ihr schon so vertraut war, breitete er seine Flügel hinter ihr aus und vergrub seine Hand in ihrem Haar. Die besitzergreifende Aussage daran war unmissverständlich, aber er küsste sie nicht, wie er es schon während der ganzen Reise nicht getan hatte. Und doch bezeugten die schläfrige Hitze in seinen Augen und die unverhohlene Härte seines Körpers, als sie sich an ihn drängte, dass er sie noch genauso sehr wollte wie zuvor. »Sprich mit mir, du sturer Mann.«
Die Wimpern senkten sich über seine Augen, die so wunderschön waren, dass sie sich fragte, warum sie nicht direkt bei ihrer ersten Begegnung in ihnen versunken war. »Ich will dich mit jedem meiner Atemzüge.« Schnörkellos und schonungslos aufrichtig. So war Galen. »Aber es ist nicht Dankbarkeit, die ich von dir brauche.« Unerwartet zärtlich umfasste er ihre Wange, als er sagte: »Wenn das alles ist, was du empfindest, wird es mich zerreißen, aber es wird mich nicht davon abhalten, dir der beste Freund zu sein, den du je haben wirst. Überall, Jessamy. Ich werde dich immer an jeden Ort deiner Wünsche fliegen.«
Seine Worte, sein Schwur, hallten in ihr wider, doch sie blieb stumm, unsicher, was sie sagen sollte. Wie konnte sie ihm nicht dankbar sein für alles, was er für sie getan hatte? Nicht nur für das Geschenk des Fliegens, sondern dafür, dass er sie gezwungen hatte, aufzuwachen und wieder richtig zu leben.
»Es besteht keine Schuld zwischen uns, keine Verpflichtung, die du einlösen müsstest.« Galens Worte waren schroff, in seiner Berührung lag eine grobe Zärtlichkeit. »Du bist frei.«
12
Die Nacht verging quälend langsam. Weil sie nicht schlafen konnte, ging Jessamy in der grauen Stunde, bevor der Sonnenaufgang seine Pinselstriche an den Himmel malte, in die Bibliothek des Turmes. Ihren rechten Flügel ließ sie dabei wie einer ihrer Schützlinge über den Boden schleifen. Drinnen brannte eine Lampe, und am Kaminsims stand ein Mann mit einem Glas in der Hand. Er war größer als sie, ebenso schlank und hatte keine Flügel auf dem Rücken. »Lady Jessamy«, sagte er in lässigem Tonfall, der wie ein Schnurren über ihre Haut strich.
Gefährlich, dachte sie und hielt einen sicheren Abstand zu ihm. »Sie sind mir wohl einen Schritt voraus.«
»Ainsley, zu Ihren Diensten.«
»Ainsley?« Der Name passte in keiner Weise zu diesem Vampir, dessen Stimme eine einzige Aufforderung zur Sünde war.
Seine Mundwinkel zuckten nach oben, das Licht der Lampe ließ die rubinrote Flüssigkeit in seinem Glas funkelnd erstrahlen. Blut . »Deshalb bringe ich die Leute gewöhnlich um, die meinen richtigen Namen benutzen. Die meisten
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