Dunkle Verlockung (German Edition)
nennen mich Trace.«
Ein seltsamer Name. Sie ließ den Blick erneut über seine geschmeidige Gestalt wandern und zog die Verbindung. »Spurensuche. Ist das Ihre Aufgabe?«
Er nickte ungezwungen. »Das Land da draußen ist wild. Viele Dinge gehen verloren. Ich finde sie.« Während er an seinem Blut nippte, hielt er den Blickkontakt zu ihr aufrecht, seine Augenfarbe mochte ein tiefdunkles Grün oder gebrochenes Schwarz sein. »Sie sind eine große Frau.«
Ja, das war sie. Selbst für einen Engel. Aber wenn sie neben Galen stand, kam sie sich richtig zierlich vor. Und wenn er sie in die Arme nahm … »Was machen Sie so früh am Morgen in der Bibliothek?«, fragte sie und widerstand dem Drang, sich mit der Faust übers Herz zu reiben, um die Sehnsucht darin zu lindern.
Trace hob die Hand und brachte ein Buch zum Vorschein. »Gedichte.« Jessamy traf ein beinahe verlegener Blick aus seinen Augen, deren Schmeicheleien ohne Zweifel schon viele Frauen in lustvolles Verderben getrieben hatten.
Jessamy überdachte ihre erste Schlussfolgerung noch einmal – dass er gefährlich war, stand nicht zur Debatte, aber er war kein Mann, der einer Frau etwas zuleide tat. Dafür hatte er zu viel Freude an ihnen. »Gedichte?«
Durch sein zögerliches Lächeln wurden einige Falten auf seinen Wangen sichtbar. »Möchten Sie etwas daraus hören?«
Kein Mann hatte ihr je Gedichte vorlesen wollen. Aber andererseits veränderte sich gerade ihr gesamtes Leben. Also sagte sie: »Sehr gern«, und ging über den Teppich auf ihn zu.
Sie setzten sich einander gegenüber. Trace stellte sein Glas ab und las ihr eindringliche Gedichte über Liebe, Verlust und Leidenschaft vor. Seine Stimme war voll und atmosphärisch und wie für die Verführung geschaffen. Erst nach dem dritten Gedicht erkannte Jessamy, dass sie das Ziel dieser Verführung war. Erschrocken betrachtete sie sein Gesicht, das auf eine elegante, kantige Weise schön war, betrachtete seinen seidig schwarzen Haarschopf und seine schlanke Gestalt, die er gewiss schnell wie eine Peitschenschnur bewegen konnte, wenn es nötig war, und fragte sich nach seiner Motivation. »Es gibt noch andere Frauen im Turm«, sagte sie, als er eine Atempause machte.
Er sah sie an, und sie stellte fest, dass die Augen unter seinen Wimpern so tiefgrün waren, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte. »Das weiß ich sehr gut, aber ich wollte Ihre Haut schon berühren, seit ich Sie in der Zufluchtsstätte zum ersten Mal gesehen habe.« Wieder eine Pause, sein prüfender Blick fiel offener und wesentlich sinnlicher aus. »Damals habe ich nur deshalb nicht um Sie geworben, weil mir von mehr als einer Person zugetragen wurde, Sie zögen die Einsamkeit vor und es würde Sie belasten, wenn ich auf Sie zuginge.«
»Verstehe.« Seine Worte lösten ein innerliches Zittern in ihr aus und formten ihre Welt auf drastische Weise neu. Es war eine Sache, es für möglich zu halten, dass sie vielleicht selbst der Grund für ihre Isolation gewesen war, aber eine ganz andere, es zu wissen. »Sie haben bemerkt, dass mein Flügel nicht so ist, wie er sein sollte«, sagte sie; in ihrer Aussage lag eine Frage.
Seine Antwort war ein geschmeidiges, elegantes Schulterzucken. »Sie werden bemerkt haben, dass auch ich nicht fliegen kann.« Er trank die restliche Flüssigkeit aus seinem Glas – eine Flüssigkeit, die für das Leben und den Tod gleichermaßen stand – und sagte: »Verraten Sie mir: Gehören Sie zu ihm?«
Sie brauchte nicht zu fragen, wen er meinte. »Was wäre denn, wenn?«, gab sie anstelle einer Antwort zurück, denn das zwischen ihr und Galen war etwas Kostbares, Intimes.
»Man kann mir vieles nachsagen«, raunte er, »aber ich werbe niemandem die Frau ab … jedenfalls nicht, wenn sie sich nicht abwerben lassen will.«
»Ich sollte jetzt gehen.« Die Nacht und dieser Morgen hatten alles durcheinandergebracht, was sie zu wissen geglaubt hatte – jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich auf ein Wortgefecht mit einem Vampir einzulassen, der ganz offensichtlich ein Meister in der Kunst des Flirtens war.
»Bis zum nächsten Mal, Mylady.« Die dunklen Versprechungen verfolgten sie, als sie die Bibliothek verließ und aufs Dach hinaufstieg, hinaus in die frische Morgenluft. Wenn Trace die Wahrheit sagte – und zum Lügen hatte er sicher keinen Grund – , dann würden sich ihr wahrscheinlich bald auch andere Männer nähern, da sie nun wussten, dass sie offen für Werbungen und eine Beziehung
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