Dunkle Verlockung (German Edition)
Feinheiten der politischen Beziehungen erfahren willst, die dem Machtgefüge des Kaders zugrunde liegen und es im Gleichgewicht halten, gibt es dafür niemand Besseren als Jessamy.«
Galen war klar, dass Dmitri sich einen Spaß daraus machte, ihn an Jessamy zu verweisen, aber immerhin hatte er jetzt einen Grund, ihre Gesellschaft zu suchen. Trotzdem sagte er: »Hast du vergessen, dass ich dich gut und gerne töten könnte?«
»Das war nur ein Glückstreffer, Barbar.« Der Vampir fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Deine Fähigkeiten als Waffenmeister werden vielleicht früher gebraucht, als dir bewusst ist«, sagte er in weitaus ernsterem Tonfall. »Alexander hat begonnen, seine Armee zusammenzuziehen. Er war immer dagegen, dass Raphael schon so jung in den Kader kommen sollte, und jetzt sieht es so aus, als wollte er seiner Meinung gewaltsam Nachdruck verleihen.«
Alexander war der Erzengel von Persien und herrschte bereits seit Tausenden und Abertausenden von Jahren. »Er ist stärker als Raphael«, bemerkte Galen. Das Alter hatte Alexanders Macht zu durchdringendem Glanz verholfen.
Dmitris Miene war unergründlich. »Wir werden sehen.«
Galen fragte sich, ob Dmitri ihm von dem heraufziehenden Krieg nur deshalb erzählt hatte, weil im Volk bereits darüber gemunkelt wurde. Es war ein offenes Geheimnis. Aber andererseits hatte der Vampir es deutlich genug gesagt: Vertrauen musste man sich verdienen. Nichts anderes hatte Galen erwartet. »Er wird Spione in Raphaels Territorium haben, sowohl in der Zufluchtsstätte als auch außerhalb.«
»Natürlich. Also halte die Augen offen.«
Als Galen an diesem Nachmittag über die schimmernden weißen Gebäude hinwegflog, die in die felsige Landschaft der Bergfestung eingebettet waren, hielt er die Augen besonders weit offen, denn er war Jessamy zu einem kleinen Haus an den Klippen gefolgt, das am äußersten Rand von Raphaels Gebiet in der Zufluchtsstätte lag. Sie lebte ziemlich abgeschieden für eine Frau, die nach allem, was er heute erfahren hatte, von Kindern und Erwachsenen gleichermaßen geliebt wurde. Ihr Haus war durch eine zerklüftete Felswand von den anderen abgetrennt und nur über die Luft und einen einzigen schmalen Pfad erreichbar.
Er flog hinunter und landete auf dem kleinen Hof vor ihrem Haus. Der Boden war mit Fliesen in funkelndem Blau und zartem Grau ausgelegt und von irdenen Töpfen umgeben, die vor robusten Bergblumen in Weiß, Gelb, Rot und Indigo geradezu überquollen. Als er die Flügel zusammenlegte, kam er sich wie ein großes, schwerfälliges Tier vor. Doch dass er sich fehl am Platze fühlte, reichte nicht aus, um ihn davon abzuhalten, sich dieser Engelsfrau mit ihrer zierlichen Schönheit und den geheimnisumwobenen Augen zu nähern.
Was den körperlichen Aspekt anging – den konnte er nicht leugnen. Er war ein Mann mit zügellosen Gelüsten, und Jessamy sprach sie samt und sonders an. Ein selbstsüchtiges Bedürfnis hatte ihn zu der Frage veranlasst, die sie so verärgert hatte. Er hatte sichergehen wollen, dass sie nicht unter der Kraft seiner Berührung zerbrechen würde. Sicher hätten es manche für vermessen gehalten, dass er annahm, sie würde sein Werben nicht nur akzeptieren, sondern auch zulassen, dass er ihre cremefarbene Haut mit seinen rauen, von der ständigen Arbeit mit Waffen abgehärteten Händen streichelte. Aber Galen hielt nichts davon, in einen Kampf zu ziehen, wenn man nicht die Absicht hatte, ihn zu gewinnen.
Mit großen Schritten ging er auf ihre Tür zu und wollte gerade Jessamys Namen rufen, als er ein Krachen hörte, gefolgt von dem verängstigten Schrei einer Frau. Das Blut in seinen Adern gefror zu Eis. Er rannte ins Haus und zog gleichzeitig sein Schwert. Das Geräusch war aus dem hinteren Teil des Hauses gekommen, und als er den Windzug auf seiner Haut spürte, wusste er, dass auf der Rückseite eine Tür geöffnet war – eine Tür, die auf einen steilen, von grausamen Felsspitzen gesäumten Abhang hinausführte.
Bei einem anderen Engel wäre es nicht so schlimm gewesen … aber Jessamy konnte nicht fliegen.
3
Er trat ein und sah, wie sie mit entschlossenem, vorgeschobenem Kinn gegen einen Vampir kämpfte, der sie beinahe bis zur klaffenden Leere der offenen Tür zurückgedrängt hatte. Dunkle, rote Tropfen liefen seitlich an ihrem Gesicht hinunter.
Plötzlicher, kalter Zorn durchfuhr Galen.
Er stieß einen Kampfschrei aus, stürzte sich auf den Angreifer und riss ihn von der Engelsfrau fort, um
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