Dunkle Verlockung (German Edition)
es vor, zu hungern.« Mit diesen Worten stolzierte sie in die Bibliothek, fest davon überzeugt, dass dieser ungehobelte Kerl von Wölfen aufgezogen worden sein musste.
Nicht lange nachdem die Sonnenglut den Nebel vertrieben und den Blick auf die Partikel kostbarer Metalle freigegeben hatte, die in den Marmorgebäuden der Zufluchtsstätte glänzten, sah Galen Illiums unverwechselbare Flügel über die Schlucht hinweggleiten. Der jüngere Engel flog in die Wolken und über Berge, in denen nichts und niemand lebte.
»Eine Frau«, sagte Dmitri neben ihm; der Wind wehte ihm das schwarze Haar aus dem Gesicht und enthüllte seine »gefährliche, männliche Schönheit«, wie Galen schon viele Frauen, Engel wie Vampire, hatte sagen hören. Galen hingegen sah in ihm eine unbarmherzige Stärke, die Respekt verlangte.
»Sterblich«, fügte der Vampir hinzu.
Galen wusste vielleicht nicht, wie man mit Frauen sprach, die keine Kriegerinnen waren, aber niemand hätte ihm Dummheit vorwerfen können. »Du machst dir Sorgen um ihn.«
Dmitris Blick ruhte auf den Wolken, in denen der Engel verschwunden war. »Sterbliche sterben irgendwann, Galen.«
Galen zuckte die Schultern. »Wir auch.« Die Sterblichen nannten sie unsterblich, aber Engel und Vampire konnten auch sterben – es war nur ein beträchtlicher Aufwand nötig. »Macht sie ihn glücklich?«
»Ja. Zu sehr.«
Galen fragte nicht nach weiteren Erklärungen. Er selbst hatte schon Unsterbliche gekannt, die sich in Sterbliche verliebt hatten. Und er hatte sie trauern sehen, wenn diese Leben wie Glühwürmchen gleich nach dem kurzen Aufleuchten erloschen. Er selbst hatte nie so tiefe Liebe empfunden, aber er wusste dennoch, was Kummer war. »Jessamy«, setzte er an – die Frau, bei der seine Gedanken weilten, war zwar nicht sterblich, doch ihre schmale Gestalt schien so verletzlich, dass es ihm keine Ruhe ließ. »Hat sie einen Geliebten?«
Unter Dmitris kultivierter Eleganz kam äußerstes Erstaunen zum Vorschein. »Wie bitte?«
»Jessamy«, wiederholte er geduldig. »Hat sie einen Geliebten?«
»Sie ist die Lehrerin. «
»Sie ist auch eine Frau.« Und wenn die Männer um sie herum zu dumm waren, um das zu bemerken, hatte Galen nicht vor, sich deswegen den Kopf zu zerbrechen.
Nach einer verblüfften Pause schüttelte Dmitri den Kopf, blauschwarz funkelte sein Haar in der Sonne. »Nein«, antwortete der Vampir schließlich. »Soweit ich weiß, hat sie keinen Geliebten.«
»Gut.«
Dmitri hörte nicht auf, ihn anzustarren. »Dir ist klar, dass sie über zweitausendfünfhundert Jahre alt ist, mindestens hundert Sprachen spricht und über ein so umfangreiches Wissen verfügt, dass der Kader sie um Rat fragt und Informationen bei ihr einholt?«
Galen zweifelte nicht daran, dass all das der Wahrheit entsprach. »Ich habe nicht vor, in einem Intelligenztest gegen sie anzutreten.« Nein, er wollte etwas viel Primitiveres von ihr.
Dmitri stieß die Luft aus. »Das dürfte interessant werden.«
Einige Engel kamen aus den Wohnquartieren geflogen, die wie Raubvogelnester in die Hänge der Schlucht eingelassen waren. Galen und Dmitri blickten ihren Flügeln hinterher, die im Sonnenlicht schimmerten und glänzten. »Vertrauen«, sagte Dmitri, als der letzte von ihnen in den azurblauen Himmel emporgestiegen war, »muss man sich verdienen.«
»Verstehe.«
»Für den Moment wirst du in der Zufluchtsstätte bleiben und die jungen Engel trainieren, die sich Raphael angeschlossen haben.«
»Es heißt, Lijuan mag ihn.« Er sprach von einem der ältesten Kadermitglieder.
»Auch wenn sie nicht wie Neha eine Kobra um den Hals trägt«, raunte Dmitri in einer Stimme, von der jede Spur der Zivilisation abgefallen und nur noch eine blanke Klinge übrig war, »ist Lijuan keineswegs weniger giftig.«
Galen überlegte, was er über Lijuan wusste, und kam zu dem Ergebnis, dass es nicht viel war. »Solche Informationen habe ich an Titus’ Hof nicht erhalten. Wenn ich ein richtiger Waffenmeister werden soll, muss ich über die politischen Verhältnisse Bescheid wissen, die sich eventuell auf die Taktik auswirken können.«
Langsam breitete sich ein Lächeln auf Dmitris Gesicht aus. »In diesem Fall solltest du mit Jessamy sprechen.«
Galen verschränkte die Arme und erwiderte den unschuldigen Blick des Vampirs. »Sollte ich das?«
»Viele wissen nicht, dass Jessamy nicht nur unsere Lehrerin ist, sondern auch unsere Geschichtsschreiberin. Ich würde sagen, wenn du etwas über die
Weitere Kostenlose Bücher