Dunkle Visionen
nie mehr Hunger haben.“
Er fuhr auf den Damm nach Key Biscayne und hielt dann an einem Lokal auf dem Wasser. Sie tranken zwei kleine Flaschen Bier an einem schmiedeeisernen Tisch im Freien und beobachteten die Pelikane, die hoffnungsvoll über einem Vergnügungsdampfer kreisten.
Madison schaute übers Wasser, als sie Kyles Blick auf sich spürte.
Abgeschirmt von den dunklen Gläsern.
Er war heute ein „Anzug“, er trug ein fein gestreiftes Hemd, eine Krawatte und einen gut geschnittenen dunkelblauen Anzug. Es war sonnig, und sie hatte ebenfalls ihre Sonnenbrille auf. Aber sie hatte den Eindruck, als würde er direkt durch sie hindurchschauen.
„Dieser verdammte Jimmy soll in der Hölle schmoren“, sagte er leise und schüttelte den Kopf. „Und du auch. Wenn er dich nicht in diesen Fall verwickelt hätte, hättest du dich selbst darin verwickelt. Aber er hätte es nicht zulassen dürfen.“
Sie wandte den Kopf ab und nahm einen Schluck von ihrem Bier. „Kyle, du warst lange weg. Jimmy ist seit Jahren mein Freund. Er hat unsere Beziehung nie ausgenutzt.“
„Und ich dachte, du hättest alle Hände voll damit zu tun, das singende Fotomodell zu spielen.“
„Ich spiele nicht, sondern ich arbeite als Fotomodell, und ich liebe es, ab und zu mit der Band aufzutreten.“
„Ist es wirklich nur ab und zu?“
„Ja. Und manchmal ein paar Studioaufnahmen. Von einer Stadt zur anderen zu tingeln passt nicht unbedingt ins Familienkonzept.“
„Aber Fotoshootings machst du doch auch oft außerhalb der Stadt.“
„Wenn ich Zeit habe.“
„Erstaunlich. Du könntest in zwei Berufen richtig Karriere machen und hältst dich doch in beiden sehr zurück.“
„Ich habe eine Tochter.“
„Und du willst nicht berühmt sein. Wie deine Mutter.“
Sie starrte ihn an. „Wie ich gehört habe, kannst du außergewöhnlich gut zeichnen.“
Er warf ihr einen nachdenklichen Blick zu, schließlich verzog er die Lippen zu einem bedauernden Lächeln. „Na, dann sind wir jetzt ja quitt. Du hast Recht, ich bin mir meiner selbst auch nicht ganz sicher.“
„Hast du dein Zeichentalent je für deine Arbeit genutzt?“
„Ab und zu. Aber die Computer haben wirklich alles verändert, weißt du.“
„In einen Computer muss man immer noch etwas eingeben.“
„Das ist richtig.“ Er schaute sie wieder an und schüttelte den Kopf. „Hör zu, ich möchte nicht, dass du Jimmy bei diesem Fall hilfst“, wechselte er dann das Thema.
„Wenn ich mich recht erinnere, hast du ihm das bereits deutlich gesagt.“
„Ich glaube nicht, dass einer von euch beiden mir zugehört hat.“
„Wirklich, Kyle, ich kann beim besten Willen keinen Unterschied zwischen diesem Fall hier und einem anderen erkennen.“
„Es
gibt
einen Unterschied.“
„Welchen?“
„Ich weiß es nicht.“
„Hast du so eine Ahnung?“ spöttelte sie. Dann seufzte sie. „Hör zu, Kyle, ich weiß im Gegensatz zu dir nichts über die Psyche von Massenmördern, aber dieser Mann gibt sich nicht damit zufrieden, Menschen zu töten, er zerstückelt sie auch noch, er ist also ein echter Psychopath …“
„Oder raffiniert“, legte Kyle nahe.
„Krank.“
„Krank – und raffiniert.“ Er seufzte und legte die Fingerspitzen aneinander. „Das geht oft beides Hand in Hand. Jemand kann krank sein und dennoch genau wissen, was er tut. Nimm Ted Bundy. Bundy war krank und wurde doch als gesund genug beurteilt, um sich vor Gericht verantworten zu können. Eine Leiche zu zerstückeln und sie mit Backsteinen beschwert in den Everglades zu versenken ist bizarr, aber stell dir die Everglades vor. Dinge können für immer dort verschwinden. Nach allem, was wir bisher wissen, handelt es sich bei dem Täter um jemanden, der sich seine Opfer sehr sorgfältig aussucht und charmant genug ist, sie um den kleinen Finger zu wickeln.“ Er zuckte die Schultern und hob die Hände. „Miami hatte kürzlich Conde – den Prostituiertenmörder. Aber nach allem, was ich weiß, hast du dir nie auf der Eighth Street Freier gesucht, weshalb es höchst unwahrscheinlich gewesen wäre, dass du eins seiner Opfer wirst. Aber dieser Typ hier …“
„Kyle! Es gibt hier in der Gegend mehr als drei Millionen Menschen. Warum sollte ausgerechnet ich in Gefahr sein?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Der Gedanke gefällt mir einfach nicht, das ist alles.“
Er lächelte sie plötzlich an und prostete ihr zu. „Auf unsere schöne Welt! Jeder Mord ist traurig und entsetzlich, aber
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