Dunkle Wasser
bevor er meine Finger umbog, daß sie die Küsse wie Geschenke umschlossen hielten.
»Für all die Tage, an denen ich mich so sehr nach dir gesehnt habe und du fort warst.« Er zog mich zu sich herunter, daß mein Oberkörper auf seiner Brust lag. Meine Haare fielen wie ein dunkler Vorhang herab, der unsere Gesichter einhüllte. Wir küßten uns. Dann lag ich mit meiner Wange auf seiner Brust, und seine Arme hielten mich umschlungen. Wenn ich nur so gewesen wäre, wie er es von mir annahm, dann hätte ich dies alles genießen können. Ich kam mir wie eine Sterbenskranke vor, die ihre letzte Mahlzeit einnahm. Die Sonne in ihrer ganzen Pracht konnte die Wolken, die mein Gewissen überschatteten, nicht vertreiben.
Mit geschlossenen Augen wünschte ich mir, daß er für immer so weiterreden würde und mir nicht die Gelegenheit gab, seine
– und meine – Träume zu zerstören.
»Wenn ich das College abgeschlossen habe, werden wir heiraten, zur Rosenblütenzeit. Bevor noch der Schnee fällt, Heaven.«
Ich schüttelte den Kopf, aber was er sich in seiner Phantasie aus malte, riß mich beinahe fort. Meine Augen hielt ich geschlossen, mein Atem ging im gleichen Takt wie seiner. Er streichelte meinen Rücken, meine Arme – und dann, sehr zart, meine Brüste. Mit einem Aufschrei riß ich mich von ihm los und setzte mich kerzengerade auf. »Laß uns gehen. Du mußt es sehen, wenn du verstehen willst, wer und was ich bin«, sagte ich mit zitternder Stimme.
»Ich weiß doch, wer und was du bist. Heaven, warum hast du so verschreckte Augen? Ich werde dir nicht weh tun. Ich liebe dich.«
Er würde es aber nicht mehr, wenn er erführe, wer ich eigentlich wirklich war. Nur Cal wußte, was ich durchgemacht hatte, und er verstand mich. Ich war eine Casteel, von Geburt an verdorben. Cal war dies gleichgültig, aber den unbescholtenen Stonewalls würde es gewiß etwas ausmachen.
Der Glanz in Logans Augen verdüsterte sich. Er schien zu ahnen, daß ich ihm ein unangenehmes Geheimnis enthüllen wollte. Ich kam mir klein, besudelt und verlassen vor.
»Ich hätte da einen sonderbaren Wunsch, Logan«, sagte ich mit einem leichten Beben in der Stimme. »Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich gerne das Grab meiner Mutter besuchen.
Als sie gestorben ist, hat sie mir eine Puppe hinterlassen, die ich nicht aus einem Feuer retten konnte, die aber wichtig gewesen wäre als Beweis meiner Identität, wenn ich nach Boston gehe, um die Familie meiner Mutter aufzusuchen.«
»Du willst dorthin fahren?« fragte er mit verstörter Stimme.
»Warum? Wenn wir heiraten, wird meine Familie auch deine sein.«
»Ich muß eines Tages hinfahren. Es ist etwas, was ich tun muß, nicht nur meinetwegen, sondern auch für meine Mutter.
Sie ist ihren Eltern fortgelaufen, und sie haben nie wieder etwas von ihr gehört. Sie können noch nicht so alt sein.
Bestimmt haben sie sich jahrelang Sorgen um ihre Tochter gemacht. Manchmal ist es besser, die Wahrheit zu erfahren, als immer nur herumzurätseln und zu spekulieren…«
Er wandte sich jetzt von mir ab, obwohl er mit mir Schritt hielt, während wir zusammen den Hügel erklommen.
Bald würden die Blätter die Farbe eines glühenden Hexentranks annehmen. Der Herbst würde kurz in den Bergen weilen. Dort unten im Tal, wo der Wind nicht so heftig wehte, würden Vater und Mutter Stonewall erbost sein über ein Casteel-Mädchen, das nicht gut genug für ihren einzigen Sohn war. Ich nahm seine Hand, und die Liebe, die ich für ihn empfand, war so stark, wie sie nur ganz junge Menschen empfinden können. Im gleichen Augenblick lächelte er mich an und trat auf mich zu. »Muß ich es tausendmal wiederholen, daß ich dich liebe, bevor du mir glaubst? Soll ich auf die Knie fallen und um deine Hand anhalten? Nichts von dem, was du mir erzählen willst, könnte meine Liebe zu dir oder meine Achtung für dich schmälern!«
O doch, es gab da etwas, was ich erzählen könnte, und alles würde sich verändern. Ich hielt seine Hand noch fester umklammert und führte ihn immer höher; wir kamen an schlanken Kiefern, schweren Eichenbäumen und Walnußbäumen vorbei, und der Weg wand sich weiter hinauf, bis nur mehr immergrüne Bäume wuchsen… Und schließlich befanden wir uns auf dem Friedhof. Er hatte nur mehr Platz für wenige Tote. Es gab neuere und bessere Friedhöfe weiter unten, wo es nicht mehr so große Mühe machte, neue Gräber auszuheben.
Niemand mähte das Gras am Grab meiner Mutter, das einsam und
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