Dunkle Wasser
mir nicht! Sag es mir niemals!«
Ich wollte ihn einholen, aber seine Beine waren viel länger, und meine dünnen Absätze blieben in der weichen Erde stecken und hielten mich auf. Ich drehte mich um und ging den Pfad hinauf zur Hütte, um sie wiederzusehen. Ich war von ihrer Trostlosigkeit überwältigt. An der Wand war noch die helle Stelle, wo Vaters Tiger-Poster gehangen hatte, unter dem die Wiege für Tom und mich gestanden war. Ich starrte auf den gußeisernen Herd, der an den Stellen, an denen kein Schwamm wuchs, ganz rostig geworden war. Unter Tränen blickte ich auf die primitiven Holzsessel, die irgendein Casteel vor langer Zeit hergestellt hatte. Einige Sprossen hingen jetzt lose herunter, einige fehlten, und alle Dinge, die die Hütte verschönern sollten, waren verschwunden. Logan hatte all dies gesehen. Ich weinte, sehr lange und bitter, um alles, was ich nie besessen hatte und was ich vielleicht noch verlieren würde. Durch die Stille der Hütte heulte und ächzte der Wind. Es regnete.
Schließlich erhob ich mich wieder und ging auf dem nassen Weg zurück nach Winnerrow, das für mich kein Zuhause war.
Cal lief auf der Veranda der Settertons auf und ab. »Wo warst du, daß du so durchnäßt, zerrissen und schmutzig zurückkommst?«
»Logan und ich haben das Grab meiner Mutter besucht…«, flüsterte ich heiser und ließ mich erschöpft auf eine Stufe nieder. Es war mir völlig gleichgültig, daß es regnete.
»Ich dachte mir so etwas.« Er setzte sich neben mich und achtete ebensowenig auf den Regen wie ich.
Er legte den Kopf in seine Hände. »Ich bin den ganzen Tag mit Kitty zusammen gewesen. Ich bin völlig fertig. Sie weigert sich, Nahrung zu sich zu nehmen. Sie haben sie an einen Tropf gehängt und fangen morgen mit den Bestrahlungen an. Sie ist nie zu einem Arzt gegangen, auch wenn sie dir das Gegenteil erzählt hat. Die Geschwulst besteht schon seit zwei, drei Jahren. Heaven, Kitty zieht es vor zu sterben, bevor sie das verliert, was für sie den Inbegriff ihrer Weiblichkeit darstellt.«
»Wie kann ich helfen?« flüsterte ich.
»Bleib bei mir. Verlaß mich nicht. Ich bin schwach, Heaven.
Das habe ich dir schon früher gesagt. Als ich dich zusammen mit Logan sah, kam ich mir auf einmal alt vor. Ich hätte es wissen müssen, daß die Jugend ihresgleichen sucht. Ich bin ein alter Narr, der sich selbst eine Falle gestellt hat.«
Er wollte näher an mich heranrücken. Ich sprang in panischer Angst auf. Er liebte mich nicht so, wie es Logan tat. Er brauchte mich nur als Ersatz für Kitty.
»Heaven!« rief er. »Wendest du dich auch von mir ab? Bitte, ich brauche dich!«
»Du liebst mich nicht!« rief ich erregt. »Du liebst sie! Und du hast es immer getan! Sogar als sie grausam zu mir war, hast du sie immer entschuldigt!«
Ermattet drehte er sich um, mit hängenden Schultern ging er auf die Tür des Setterton-Hauses zu. »In manchen Dingen hast du recht. Ich will, daß Kitty am Leben bleibt, und gleichzeitig wünsche ich mir, daß sie stirbt, um der Last zu entrinnen. Ich will dich, aber ich weiß, es ist nicht richtig. Ich hätte mich niemals überreden lassen dürfen, daß sie dich zu uns holt!«
Peng!
Mir wurden immer Türen vor der Nase zugeschlagen.
21. KAPITEL
ENDGÜLTIGER ABSCHIED
Eine Woche verging. Täglich besuchte ich Kitty im Krankenhaus. Logan hatte ich seit dem Tag, an dem er von mir fortgelaufen war, nicht mehr gesehen, und ich wußte, daß er jetzt innerhalb einer Woche ins College zurück mußte. Viele Male spazierte ich wie zufällig an der Stonewall-Apotheke vorbei, in der Hoffnung, ihn zu sehen, obwohl ich mir immer wieder sagte, daß er ohne mich besser dran sei. Und ich sei besser dran ohne jemanden, der mir nie verzeihen könnte, daß ich nicht vollkommen war. Zu unvollkommen – dies waren wohl Logans Gedanken –, zu sehr wie Fanny. Auch wenn Cal bemerkt hatte, daß ich sehr bedrückt war, weil ich Logan nicht mehr sah, so verlor er doch kein Wort darüber.
Durch die vielen Stunden, die ich an Kittys Krankenbett verbrachte, kamen mir die Tage sehr lang vor. Cal saß auf einer Seite des Bettes, ich auf der anderen. Die meiste Zeit über hielt er ihre Hand. Ich hatte meine Hände in den Schoß gelegt. Während ich so neben ihr saß und ihr Leiden fast wie einen eigenen Schmerz empfand, grübelte ich über die Verwicklungen des Lebens nach. Es gab eine Zeit, da hätte mich der Anblick Kittys als hilflose Kranke, die nicht mehr in der Lage war, mich zu
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