Dunkle Wasser
zu zwei langen Zöpfen geflochten, die ihr bis zum Brustansatz reichten. Ihre Mutter hatte ihr ein schlichtes, weißes Nachthemd angezogen, bis zum Hals hochgeknöpft, wie es alte Damen tragen. Es war ein einfaches, billiges Nachthemd, genau die Art, die Kitty nicht leiden konnte. Noch nie hatte ich Kitty so unattraktiv gesehen.
Kittys Mutter rächte sich nun an ihr, so wie Kitty sich an mir gerächt hatte, als sie mich in das kochende Bad gesteckt hatte… Und trotzdem fühlte ich, wie Wut in mir hochstieg. Ich verachtete Reva Setterton, weil sie einer wehrlosen Frau dies angetan hatte! Es war grausam, Kitty so zu behandeln, jetzt wo sie hilflos war. Wie eine sorgende Mutter suchte ich alles zusammen, was ich brauchte, um Revas Untaten wiedergutzumachen. Ich holte Kittys hübschestes Nachthemd hervor und zog ihr das häßliche aus, bevor ich ihre wunde Haut mit Creme behandelte. Vorsichtig streifte ich ihr das spitzenbesetzte Nachthemd über den Kopf. Dann löste ich die straff sitzenden Haare. Nachdem ich sie, so gut ich konnte, frisiert hatte, cremte ich ihr Gesicht behutsam mit einer Feuchtigkeitscreme ein und begann mit dem Make-up.
Während ich den Schaden wiedergutzumachen versuchte, redete ich ununterbrochen. »Mutter, langsam verstehe ich, wie es für dich gewesen sein muß. Aber mach dir keine Sorgen. Ich habe dich mit einer guten Feuchtigkeitscreme am ganzen Körper und im Gesicht eingerieben. Ich kann dich nicht so gut schminken wie du, aber ich probier’ mein Bestes. Morgen fahren wir dich ins Krankenhaus, und die Ärzte werden deine Brust eingehend untersuchen. Es muß nicht unbedingt stimmen, daß du die Veranlagung zum Brustkrebs geerbt hast, Mutter. Ich hoffe sehr, daß du mir die Wahrheit gesagt hast und wirklich zum Arzt gegangen bist. Sag ehrlich: Warst du beim Arzt?«
Sie antwortete nicht, aber anscheinend hörte sie zu. Eine Träne bildete sich in ihrem linken Augenwinkel. Ich redete weiter und legte ihr Rouge auf, dann benutzte ich Augenbrauenstift, Lippenstift und Wimperntusche. Als ich mein Werk beendet hatte, war sie wieder die alte. »Weißt du was, Kitty Dennison? Du bist immer noch eine sehr schöne Frau, und es ist eine verdammte Schande, daß du hier liegst und aufgibst. Du mußt nur auf Cal zugehen und ihm sagen, daß du ihn liebst und brauchst. Sag nicht immer so oft nein zu ihm, dann wird er dir der beste Ehemann der Welt sein. Vater ist kein Mann, der sich für irgendeine Frau eignen würde. Er ist ein Schurke, durch und durch! Das Beste, was dir passieren konnte, war, daß er dich verlassen hat und du Cal begegnet bist. Du haßt meine Mutter, dabei solltest du sie bemitleiden –
schau doch nur, was er ihr angetan hat.«
Kitty weinte. Stumm liefen ihr die Tränen übers Gesicht und verschmierten das frische Make-up.
Montag früh wurde Kitty mit dem Krankenwagen in die Klinik gebracht. Ich saß neben ihr, und Cal begleitete uns, während ihre Eltern zu Hause geblieben waren. Maisie und Danny waren zu einem Ausflug in die Berge gefahren. Fünf Stunden lang saßen Cal und ich auf harten, unbequemen Krankenhausstühlen und warteten ab, wie über Kitty entschieden wurde. Manchmal hielt ich seine Hand und manchmal hielt er meine. Er war aschfahl und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Zu Kittys Zeiten hatte er nie geraucht; jetzt war er süchtig danach. Endlich rief uns ein Arzt in sein Büro. Cal und ich saßen nebeneinander, während der Arzt versuchte, so sachlich wie möglich zu berichten.
»Ich verstehe nicht recht, wie das Geschwür bis jetzt übersehen werden konnte. Allerdings ist es manchmal schwierig, ein Geschwür zu entdecken, wenn eine Frau so große Brüste hat wie Ihre Frau, Mr. Dennison. Wir haben zuerst eine Mammographie ihrer linken Brust gemacht. Aus irgendeinem Grund scheinen Frauen eher auf der linken Brust als auf der rechten ein Karzinom zu bekommen. Sie hat einen Tumor, und zwar tief unterhalb der Brustwarze. Sehr ungünstig gelegen, weil man es schwer entdecken kann. Der Tumor ist etwa fünf Zentimeter groß – sehr groß für diese Art Geschwür.
Wir sind uns ganz sicher, daß Ihre Frau wohl schon lange wußte, daß sie einen Tumor hat. Als wir die Mammographie machen wollten, ist sie nämlich aus ihrer Lethargie erwacht und hat sich dagegen gewehrt. Sie schrie mehrmals: ›Laßt mich sterben!‹«
Cal und ich waren verblüfft. »Sie kann sprechen?« fragte er.
»Mr. Dennison, Ihre Frau konnte immer sprechen, aber sie hat sich schlicht
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