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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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beibringen kann, wenn ich nach Hause komm’. Wär’s aber nicht doch besser, wenn ich Miß Deale alles erzählte, dann könnt’ sie dir Aufgaben schreiben, die du zu Hause machst. Was meinst du, Heavenly?«
    »Wenn du ihr nicht sagst, daß wir hier oben allein sind, daß wir frieren und Hunger haben. Wir wollen doch nicht, daß sie es erfährt, nicht wahr?«
    »Wär’ das wirklich so schlimm? Vielleicht könnte sie uns helfen…«, sagte er vorsichtig, aus Angst, ich könnte in die Luft gehen.
    »Tom, Miß Deale arbeitet für einen Hungerlohn, wie Logan sagt, und sie ist so großzügig, daß sie alles für uns ausgeben würde. Das dürfen wir nicht zulassen. Hat sie uns nicht außerdem einmal im Unterricht gesagt, daß Armut und Not für Rückgrat und einen festen Charakter sorgen? Mein Lieber, wir werden ein Rückgrat aus Eisen und einen unbezwingbaren Charakter bekommen!«
    Er sah mich bewundernd an. »Du hast ja jetzt schon genug unbezwingbaren Charakter und ein eisernes Rückgrat! Wenn du noch mehr davon hättest, würden wir wahrscheinlich verhungern.«
    Jeden Tag trottete Tom in die Schule; die Hausaufgaben hatte er immer tadellos gemacht. Nichts konnte ihn aufhalten, keine eisigen Regengüsse, kein Schneeregen, kein Wind, keine Kälte. Er ging immer pünktlich wie die Eisenbahn. Immer den Weg hin und zurück, ohne angemessene Kleidung. Er brauchte eine warme Winterjacke, aber es war kein Geld dafür da. Er brauchte neue Schuhe und Schneestiefel, um seine Füße trocken zu halten, denn die Schuhe, die Vater uns gebracht hatte, paßten niemandem. Manchmal begleitete Fanny Tom, um der Langeweile in der Hütte zu entkommen. Sie lernte nichts, aber sie hatte die Möglichkeit, mit den Jungens zu flirten. Keith ging in die Schule, wenn Unsere-Jane nicht zu krank war, die sonst aus Leibeskräften schrie, wenn er fortging.
    Wir badeten weiterhin jeden Samstagabend, die Wanne hatten wir ganz nah an den Ofen gerückt. Wir holten Wasser aus dem Brunnen und machten es auf dem Ofen heiß, damit wir auch die Haare waschen konnten. Wir bereiteten uns an diesem Tag auf das einzige Vergnügen vor, das uns geblieben war: auf den Gottesdienst.
    Wenn das Wetter halbwegs gut war, machten wir uns in unseren armseligen Sonntagskleidern jeden Sonntagmorgen vor Tagesanbruch auf den Weg.
    Den halben Weg über trug Tom Unsere-Jane. Die restliche Strecke trug ich sie oder half ihr zu gehen. Wenn sie nicht das verlockende Bild von Eistüten vor sich gehabt hätte, dann wäre sie wohl nicht so bereitwillig mitgegangen. Keith hüpfte immer neben der Person her, die gerade das Liebste, was es auf der Welt für ihn gab, auf den Armen trug – seine kleine Schwester. Fanny war immer schon vorausgeeilt. Als letzter trottete Großvater ganz weit hinter uns, der uns mittlerweile mehr aufhielt als Unsere-Jane. Großvater hatte jetzt einen Spazierstock. Oft mußte Tom umkehren und Großvater über einen umgefallenen Baum oder ein Felsstück helfen. Das hätte uns damals noch gefehlt, daß Großvater hingefallen wäre und sich einen Knochen gebrochen hätte.
    Großvater brauchte ein bis zwei Stunden, bis er unten im Tal war. Das bedeutete, daß vier Familienmitglieder so lange draußen in der Kälte blieben, um ihm Gesellschaft zu leisten.
    Die fünfte Person, Fanny, war schon längst im Warmen und hatte sich gemütlich irgendwo in einer dunklen Ecke im Kirchenvorraum verkrochen und genoß verbotene Freuden.
    Tom stürzte sofort auf sie zu, versetzte dem Jungen, mit dem sie sich gerade vergnügte, einen Hieb, befahl ihr, sich den Rock glattzustreichen, und schließlich und endlich traten wir, wie immer verspätet, in die Kirche, wo wir sofort Gegenstand prüfender und mißbilligender Blicke wurden, die uns wieder einmal deutlich zeigten, wer wir waren: das dreckigste Pack der Berge, der Abschaum des Abschaums, eben die Casteels.
    Aber der Weg zu der kleinen weißen Kirche mit ihrem hohen Turm gab uns Hoffnung. Wir waren mit der Fähigkeit geboren zu glauben, zu hoffen und zu vertrauen.
    So mühsam auch die Kirchgänge an diesen Sonntagen für uns waren, so bereiteten sie uns nicht nur Vergnügen, sondern sie lieferten uns auch Gesprächsstoff für die langen, einsamen Stunden. In den hinteren Reihen zu sitzen und sich all die gut angezogenen Leute zu betrachten, gab uns das Gefühl, Teil der menschlichen Gemeinschaft zu sein, und das half uns, die Mühsal der Woche zu ertragen. Ich versuchte, Miß Deale, die allerdings nicht regelmäßig in die

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