Dunkle Wasser
in ihrer Handtasche wühlte, »geht schnell zur Tür und bleibt nicht stehen!«
Unsere-Jane machte jedoch nicht mit und ließ ihre Füße auf dem Boden schleifen. Ich nahm sie schnell hoch, und schon stieß sie einen Schrei aus. »Eis! Hevlee, ich will Eis!« Das gab Miß Deale die Chance, uns einzuholen, als wir gerade an Reverend Wise und seiner grimmig dreinblickenden Frau vorbeischlüpften.
»Halt, wartet!« rief Miß Deale und eilte hinter uns her. Ihre Stöckelschuhe klapperten auf dem rutschigen Asphalt.
»Es hat keinen Zweck«, flüsterte ich Tom zu, der gerade versuchte, Großvater zu stützen, damit er nicht fiel. »Laß uns eine gute Entschuldigung erfinden, sonst fällt sie noch hin und bricht sich ein Bein.«
»Gott sei Dank«, schnaufte Miß Deale, als wir schließlich stehenblieben und auf sie warteten. »Warum seid ihr weggelaufen, wo ihr doch genau wißt, daß ich Unserer-Jane und Keith ein Eis versprochen habe? Mögt ihr anderen nichts Süßes mehr?«
»Wir lieben Eis!« erklärte Fanny inbrünstig, während Unsere-Jane die Ärmchen nach ihrer Eis-Fee ausstreckte. Wie eine Klette hing Unsere-Jane an Miß Deale.
»Laßt uns alle wo hingehen, wo es warm ist, und uns gemütlich hinsetzen und unterhalten.« Miß Deale drehte sich um und führte uns zu Stonewalls Apotheke und Drugstore.
Keith hielt ihre freie Hand umklammert und hüpfte neben ihr her, und Fanny benahm sich beinahe so kindisch wie Keith und Unsere-Jane… und vor ein paar Minuten wäre sie noch bereit gewesen, irgendeinen pickligen Jungen für ein paar Geldstücke zu verführen…
»Und wie geht es eurem Vater?« fragte Miß Deale, als sie den Drugstore betrat. »Ich habe ihn in letzter Zeit nicht gesehen.«
»Er wird schon eines Tages zurückkommen«, sagte ich mit einem geheimnisvollen Tonfall, dabei betete ich inständig, sie möge niemals von seiner Krankheit erfahren.
»Warum ist deine Mutter Sarah heute nicht gekommen?«
»Sie ist zu Hause geblieben, sie fühlt sich nicht wohl und ruht sich aus.«
»Tom hat mir gesagt, daß du krank gewesen bist; du siehst aber wieder gesund aus, nur viel dünner.«
»Ich komme bald wieder in die Schule…«
»Und wann werden Keith und Jane wieder in die Schule gehen?« forschte sie weiter und kniff dabei die Augen mißtrauisch zusammen.
»Beiden ging es in letzter Zeit nicht besonders gut…«
»Heaven, ich möchte, daß du ehrlich zu mir bist. Ein Freund ist jemand, auf den du dich verlassen kannst, immer verlassen kannst und der da ist, wenn du Hilfe brauchst. Ein Freund versteht dich. Ich möchte dir helfen, unbedingt. Wenn ich etwas für euch tun kann, dann möchte ich, daß ihr mir sagt, was ihr braucht. Ich bin zwar nicht reich, aber auch nicht arm.
Mein Vater hat mir ein kleines Vermögen hinterlassen. Meine Mutter lebt in Baltimore und fühlt sich in letzter Zeit nicht sehr wohl. Bevor ich in die Weihnachtsferien fahre, möchte ich, daß ihr mir sagt, was ich tun kann, um euch das Leben etwas zu erleichtern.«
Hier war meine Chance. Eine solche Gelegenheit würde mir kaum zweimal geboten werden… Aber mein Stolz schnürte mir die Kehle zu und lähmte meine Zunge. Und da ich kein Wort sagte, blieben auch Tom und Großvater stumm. Die vorlaute und unverschämte Fanny hatte sich
–
glücklicherweise oder unglücklicherweise
– schon
davongemacht und blätterte in Zeitschriften.
Während ich an der Tür stand und mit mir selbst uneins war, ob es wohl klug sei, Miß Deale alles zu gestehen, wandte sie sich zu Großvater, der wie verloren auf einer Bank an einem kleinen Tisch saß. »Der gute Mann, seine Frau fehlt ihm sehr, nicht wahr?« fragte sie mitleidsvoll. »Und dir bestimmt genauso.« Dann sah sie mir lächelnd in die Augen. »Gerade fällt mir etwas Wunderbares ein. Ein Eis schmeckt zwar gut, aber es ist keine richtige Mahlzeit. Ich wollte eigentlich in einem Restaurant essen. Aber ich gehe nicht gern alleine, die Leute starren einen so an – bitte, macht mir die Freude und kommt mit mir. Dann habt ihr auch Zeit genug, mir zu erzählen, was euch in letzter Zeit zugestoßen ist.«
»Mit Vergnügen«, schrie Fanny begeistert. Sie war plötzlich wieder aufgetaucht und strahlte über das ganze Gesicht. Sie hatte die Nase eines Spürhundes, wenn es umsonst etwas zu essen gab.
»Vielen Dank, aber ich glaube, das können wir nicht annehmen«, sagte ich schnell und bestimmt. Ich war die Gefangene meiner eigenen Halsstarrigkeit, dabei wünschte ich mir die ganze Zeit,
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