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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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Kirche kam, aus dem Weg zu gehen. An diesem bestimmten Tag aber war sie anwesend; ihre schönen blauen Augen lächelten erleichtert, als sie uns erblickt hatte. Sie winkte uns heran, neben ihr auf der Bank zu sitzen. Sie ließ mich in ihr Gesangbuch schauen, und ihre wohlklingende Stimme erscholl zu einem Lobgesang auf das Leben. Unsere-Jane hob ihr kleines Gesicht und blickte Miß Deale so hingerissen an, daß mir die Tränen in die Augen traten. »Wie machen Sie das?« flüsterte sie, während Reverend Wise an das Pult trat. »Wir sprechen später über das Singen«, flüsterte Miß Deale und hob Unsere-Jane auf ihren Schoß. Ich beobachtete, wie sie Unsere-Jane immer wieder ansah und ihr mit einer sanften Bewegung über die zarte Wange strich.
    Das Schönste am Gottesdienst war, zu stehen und aus dem Gesangbuch zu singen. Das Schlimmste war, zu sitzen und den furchterregenden Predigten über die Sünde zuzuhören.
    Weihnachten stand vor der Tür, was Reverend Wayland Wise dazu inspirierte, besonders feurige und niederschmetternde Predigten zu halten, nach denen ich schlimme Alpträume hatte und glaubte, ich müsse in der Hölle braten.
    »Wer von euch ist kein Sünder? Wer das von sich behaupten kann, der möge hier und jetzt aufstehen. Lasset ihn uns ansehen, erstaunt, erschüttert… und ungläubig! Denn wir sind alle Sünder! Wir werden in Sünde gezeugt! Wir kommen als Sünder zur Welt! Wir leben als Sünder, und wir werden als Sünder sterben!« Die Sünde war überall, sie lag in uns, sie lauerte an jeder Ecke auf uns, in den dunklen Abgründen unserer Seele, niemand konnte ihr entkommen. »Gebet, so wird euch gegeben!« donnerte Reverend Wise und schlug krachend auf die Kanzel, daß sie heftig schwankte. »Gebt, und ihr werdet erlöst aus den Klauen Satans! Gebt den Armen und den Bedürftigen, den Mühseligen und Beladenen… Und aus dem Fluß eures Goldes wird die Güte und die Barmherzigkeit zurück in euer Leben fließen. Gebt, gebt, gebt!«
    Wir hatten etwas Kleingeld, das Tom sich bei Gelegenheitsjobs in den Gärten der Häuser im Tal verdient hatte. Es tat verdammt weh, dieses Geld herzugeben, in der Hoffnung, daß der Fluß aus Gold dann zu uns hinauf in die Berge fließen würde.
    Niesend und hustend saß Unsere-Jane auf dem Schoß von Miß Deale. Jemand mußte ihr beim Naseputzen helfen und mit ihr aufs Klo gehen. »Ich mach’ das schon«, flüsterte ich und führte sie hinaus in die gepflegte Damentoilette, wo sie hingerissen alles betrachtete – die Reihe makellos weißer Waschbecken, die flüssige Seife, die Papierhandtücher. Sie verschwand in einer kleinen Kabine, wo ihr keine »bösen«
    Gerüche in die Nase stiegen, und bediente dann begeistert die Wasserspülung. Fasziniert warf sie immer wieder Papier hinein und spülte es unentwegt hinunter. Als wir zurückkamen, ließ ich es nicht mehr zu, daß Unsere-Jane sich wieder auf Miß Deales Schoß setzte und ihr Kostüm zerknitterte. Unsere-Jane klagte über Fußschmerzen, weil ihr die Schuhe zu klein waren, außerdem war ihr kalt, und warum stand der Mann da oben und schrie und hörte überhaupt nicht mehr mit dem Reden auf?
    Wann würden wir wieder aufstehen und singen? Unsere-Jane sang sehr gerne, obwohl sie keine Melodie richtig nachsingen konnte. »Schscht!« mahnte ich sie und hob meine allerliebste Schwester auf den Schoß. »Gleich ist es vorbei, dann singen wir wieder, und später gehen wir ein Eis essen.«
    Für ein Eis wäre Unsere-Jane über glühende Kohlen gegangen.
    »Und wer zahlt?« flüsterte Tom besorgt. »Wir können es nicht zulassen, daß Miß Deale uns wieder einlädt. Und wenn wir unser Kleingeld in den Klingelbeutel werfen, dann haben wir kein Geld mehr.«
    »Tu nichts in den Klingelbeutel. Tu nur so. Wir sind selbst die Armen und Bedürftigen, die Mühseligen und Beladenen…
    Außerdem fließen die Flüsse nicht aufwärts, oder?«
    Widerstrebend stimmte mir Tom zu, obwohl er sich lieber auf das Glücksspiel um die Gunst Gottes eingelassen hätte. Wir mußten das Geld einfach behalten, um Keith und Unserer-Jane ein Eis zu kaufen. Das war das wenigste, was wir für sie tun konnten.
    Der Klingelbeutel wurde in unserer Bankreihe durchgereicht.
    »Ich spende für uns alle«, flüsterte Miß Deale, als Tom in seine Tasche griff. »Behalte dein Geld« – und tatsächlich warf sie ganze zwei Dollar hinein. »Jetzt«, flüsterte ich, als der letzte Psalm zu Ende gesungen war und Miß Deale gerade nach den Lederhandschuhen

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