Dunkle Wasser
besten Tisch des Restaurants zu, trotz ihrer zerlumpten Gefolgschaft.
Als sie sich hingesetzt hatte, winkte sie hochnäsig einen älteren Mann herbei, daß er uns zu unseren Sitzen führen sollte. »Von diesem Tisch aus kann man am besten euren Berg sehen«, erklärte sie.
Ich war überwältigt, verängstigt und verlegen. Wie in einem Traum von königlichem Reichtum saß ich auf meinem goldenen Stuhl mit dem roten Samtüberzug. Die Nase Unserer-Jane lief wieder. Schnell nahm Tom Keith bei der Hand und erkundigte sich nach der Herrentoilette. Fanny strahlte alle an, als sei diese Umgebung für sie eine Selbstverständlichkeit, auch wenn sie noch so ärmlich gekleidet war. Der Kellner wollte Fanny den Stuhl zurechtrücken, aber bevor sie sich hingesetzt hatte, begann sie, einen Pullover nach dem anderen auszuziehen. Alle Augen waren entsetzt auf sie gerichtet, zweifellos – so wie ich auch – in der Annahme, daß sich Fanny splitternackt entkleiden würde. Fanny aber hörte auf, als sie nur noch in ihrem verwaschenen Kleid dastand, und lächelte Miß Deale begeistert an.
»Hab’ mich noch nie so gut in meinem armseligen Leben gefühlt wie jetzt.«
»Fanny, das ist aber lieb von dir, das zu sagen. Es macht mich ebenso glücklich wie dich.«
Keith war anscheinend nicht so begeistert von der Wasserspülung wie Unsere-Jane; er und Tom kamen so schnell zurück, als fürchteten sie, etwas Wunderbares zu versäumen.
Tom sah mich überglücklich an. »Tolles Weihnachtsgeschenk, Heavenly, was?«
Ach ja, in fünf Tagen war ja Weihnachten. Ich starrte auf den großen, geschmückten Weihnachtsbaum in der Ecke des Restaurants, das darüber hinaus noch verschwenderisch mit Weihnachtssternen dekoriert war. »Ist es nicht hübsch hier, Heavenly?« sagte Fanny mit viel zu lauter Stimme. »Wenn ich reich und berühmt bin, dann werd’ ich jeden Tag so essen!«
Miß Deale sah uns alle strahlend an. »Es ist doch viel besser so, als wenn jeder seine eigenen Wege geht. Sagt mir, was ihr am liebsten essen würdet. Wir fangen bei Ihnen an, Mr.
Casteel.«
»Nehm’ dasselbe wie alle«, murmelte Großvater unsicher. Er verbarg seinen Mund hinter der Hand, aus Angst, die Leute könnten seine fehlenden Zähne bemerken. Er schien immer noch sehr beeindruckt von dem Ort und blickte mit seinen wäßrigen Augen zu Boden.
»Miß Deale«, verkündete Fanny, ohne zu zögern, »wählen Sie doch das Beste, was es gibt und was Sie am liebsten mögen, und das nehmen wir dann auch. Und den Nachtisch.
Vergessen Sie nur Wirsing, Brot und Griebenschmalz.«
Sogar nach diesem Ausfall gelang es Miß Deale, uns freundlich und mitfühlend anzusehen.
»Ja, Fanny«, meinte sie, »eine sehr gute Idee; ich suche mir mein Lieblingsessen für euch alle aus. Also, mag einer von euch kein Roastbeef?«
Roastbeef! Wir hatten zu Hause nie Roastbeef gegessen. Das würde Farbe in die Wangen von Unserer-Jane und Keith bringen.
»Ich liebe Roastbeef!« dröhnte Fanny lustvoll. Großvater nickte. Unsere-Jane saß mit großen Augen da und sah alle an, Keith blickte nur Unsere-Jane an, und Tom strahlte.
»Wir mögen alles, was Sie mögen«, sagte ich bescheiden und unendlich dankbar, daß ich hier sitzen durfte. Zugleich aber fürchtete ich, daß wir sie mit unseren schlechten Tischmanieren blamieren würden.
Miß Deale nahm ihre Serviette, die wie eine Blume gefaltet war, und legte sie auf ihren Schoß. Schnell tat ich dasselbe, stieß Fanny gegen ihr Schienbein, breitete die Serviette für Keith aus, während Miß Deale sie für Unsere-Jane herrichtete.
Irgendwie schaffte es Großvater, alles mitzubekommen, und er tat das gleiche; ebenso Tom. »Als Vorspeise sollten wir einen Salat oder eine Suppe nehmen. Danach dann Roastbeef mit Gemüse. Wer lieber Fisch, Lamm oder Schweinefleisch will, der melde sich jetzt.«
»Wir wollen Roastbeef«, sagte Fanny, der schon das Wasser im Mund zusammenlief.
»Gut. Seid ihr alle einverstanden?«
Alle nickten, sogar Unsere-Jane und Keith.
»Also… Wir müssen uns entschließen, wie wir das Roastbeef haben wollen… nicht durchgebraten, medium oder ganz durchgebraten – oder wollt ihr lieber ein Steak?«
Verdutzt blickten Tom und ich uns an. »Roastbeef«, flüsterte ich.
In meinen Lieblingsbüchern aßen alle romantischen Helden Roastbeef.
»Sehr schön, ich esse das Roastbeef medium, am besten wir bestellen es alle so. Und Kartoffeln dazu und als Gemüse…«
»Will keins«, unterbrach sie Fanny hastig. »Nur
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