Dunkle Wasser
wird wohl Keith oder Unsere-Jane sein. Nu’ plärrt nicht gleich los und schreit – nein, ‘s muß sein. Wenn ihr wollt, daß wenigstens einer von euch groß und stark wird und schöne Sachen bekommt, die ich ihm nicht kaufen kann, dann haltet den Mund und laßt die Leutchen da draußen ihre Wahl treffen.«
Ich erstarrte. Vaters Plan machte alle meine Hoffnungen zunichte. Vater blieb eben Vater – und er würde niemals anders werden. Ein Säufer und ein Vagabund; nichts als ein ganz verkommener und verdammter Casteel! Ein Mann ohne Herz – nicht einmal für seine eigenen Kinder.
»Das ist mein Weihnachtsgeschenk an Keith oder Unsere-Jane – macht ja nichts mit eurem Gezeter kaputt. Ihr meint, ich lieb’ euch nicht, ist aber nicht wahr. Ihr denkt, ‘s war mir gleichgültig, wie’s hier die ganze Zeit zugegangen ist, hab’ mir aber große Sorgen gemacht. Hab’ verzweifelt nach einem Weg gesucht, euch zu helfen. Und eines Nachts, als es mir so dreckig wie dem dreckigsten, hungrigsten Straßenköter ging, fand ich einen Ausweg.«
Er lächelte alle an, Fanny, Tom, Keith und Unsere-Jane – nur mich nicht. »Hab’s eurem Großvater schon erzählt. Er findet die Idee auch gut.«
Langsam rutschte Fanny von seinem Schoß herunter und gesellte sich zu uns; ich hielt Unsere-Jane im Arm, und Tom hatte beide Hände auf Keiths schmächtige Schultern gelegt.
»Vater«, sagte Fanny und war ausnahmsweise ganz blaß und erregt, »was hast du vor?«
Wieder lächelte Vater alle einschmeichelnd an. Mir kam sein Gesicht wie eine heimtückische Fratze vor. »Hab’ mir überlegt, wieviel reiche Leute bereit sind zu zahlen, um das zu bekommen, was sie sich wünschen. Ich hab’ mehr Kinder, als ich ernähren kann. Andere Leute wollen Kinder und bekommen keine. Viele reiche Leute haben nicht das, was ich im Überfluß hab’ – also biete ich es ihnen zum Verkauf an.«
»Vater«, rief Tom entsetzt, »das soll wohl ‘n Witz sein?«
»Halt den Mund, Junge«, warnte Vater in einem bedrohlichen Ton. »Mach’ hier keine Witze. Es ist mir Ernst. Bin zu dem Entschluß gekommen, daß es das Beste ist. Der einzige Weg aus der Not. Wenigstens wird einer von euch nicht verhungern.«
War das die Weihnachtsüberraschung? Daß Keith oder Unsere-Jane verkauft werden sollte?
Mir wurde schlecht. Meine Arme drückten Unsere-Jane ganz fest an meine Brust, und ich vergrub mein Gesicht in ihre weichen Locken.
Vater ging zur Tür, um das Paar aus dem schwarzen Auto hereinzulassen.
Eine dicke Dame in Stöckelschuhen trat ein, ihr folgte ein noch dickerer Mann. Beide trugen schwere Mäntel mit Pelzkragen und Handschuhen. Ihr glückliches Lächeln verschwand in dem Augenblick, als sie unsere feindseligen Gesichter erblickten. Langsam sahen sie sich um, tief entsetzt über so viel Elend.
Nirgendwo stand ein Weihnachtsbaum. Es gab keine Geschenke, keinen Schmuck, keine Pakete.
Und Vater wollte seine Kinder verkaufen.
Die Augen der Städter waren ungläubig aufgerissen. »Oh, Lester«, rief die ziemlich hübsche, mollige Dame, kniete sich vor Keith hin und wollte ihn an ihre riesige Brust drücken,
»hast du gehört, was er gesagt hat, als wir die Treppen hochgegangen sind? Wir können dieses liebe, schöne Kind nicht verhungern lassen! Schau doch, seine seidigen Haare. Er ist so sauber und schaut so lieb drein. Und das süße, kleine Mädchen, das die Ältere in den Armen hält – ist es nicht entzückend?«
Panik ergriff mich. Warum hatte ich auch nur beide gestern noch gebadet und ihnen die Haare gewaschen? Warum waren sie nicht verdreckt, damit sie der Frau nicht gefielen? Ich schluchzte und hielt Unsere-Jane noch fester umschlungen, während sie sich zitternd an mich klammerte. Vielleicht würde es Unserer-Jane und Keith wirklich besser gehen – aber was wurde dann mit mir? Es waren doch meine Kinder, nicht ihre.
Sie hatte nicht die ganze Nacht bei ihnen gewacht, und sie hatte sie nicht auf den Armen auf und ab getragen und nicht stundenlang gefüttert, anstatt im Freien zu spielen.
»Unsere-Jane ist erst sieben Jahre alt.« Meine Stimme klang brüchig, aber ich war fest entschlossen, Unsere-Jane vor dieser Frau und ihrem Mann zu beschützen. »Weder sie noch Keith sind je von zu Hause fort gewesen. Man darf sie nicht trennen; sie werden weinen und schreien und wahrscheinlich vor Kummer sterben.«
»Sieben«, murmelte die Frau anscheinend entsetzt. »Ich dachte, sie wäre jünger. Ich wollte eigentlich ein jüngeres Kind.
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