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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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war ich überzeugt. In der Tat, mit viel Rizinus im Bauch schmolz so ziemlich alles dahin. Jedenfalls half es gegen Toms Muskelschmerzen.
    Wenn ich nicht gerade Tom stöhnen hörte, so vernahm ich andere Geräusche in der Nacht; das pfeifende Gerassel von Großvaters Atem, das ewige Gehüstel von Unserer-Jane, den hungrigen Magen von Keith – vor allem aber hörte ich Schritte auf unserer baufälligen Veranda.
    War Vater zurück?
    Waren Bären auf der Veranda?
    Kamen Wölfe, um uns alle aufzufressen?
    Tom glaubte inbrünstig daran, daß Vater uns nicht alleine lassen würde, bis wir erfroren und verhungert waren. »Egal, was du denkst, Heavenly, er liebt uns, sogar dich.« Ich lag auf der Seite und hatte mich so klein wie möglich gemacht. Meine Füße berührten Toms Rücken, aber ich hatte meinen Kopf so gedreht, daß ich auf die niedrige Decke starren konnte, über die sich der unsichtbare Himmel wölbte, und ich betete, daß Vater stark und gesund nach Hause kommen und uns um Verzeihung bitten würde.
    Am nächsten Tag war Heiliger Abend. In unserem Schrank befanden sich nur mehr eine halbe Tasse Mehl, etwa ein Eßlöffel Schmalz und zwei vertrocknete Äpfel. Am Morgen war meine Niedergeschlagenheit so groß, daß sie mich bleischwer zu erdrücken schien. Ich konnte mich kaum rühren.
    Ich starrte das Essen an, das wir noch übrig hatten, und die Tränen liefen mir die Wangen herunter; und wenn Unsere-Jane auch das ganze Griebenschmalz essen würde, so könnte nicht einmal sie davon satt werden. Der Boden hinter mir knarzte, und Tom nahm mich in den Arm.
    »Wein’ nicht, Heavenly, bitte nicht. Gib jetzt nicht auf.
    Vielleicht können wir einige von Großvaters Holztieren in der Stadt verkaufen. Wenn es uns gelingt, haben wir genügend Geld, um uns viel Essen zu kaufen.«
    »Wenn das Schneien nachläßt«, sagte ich heiser vor Hunger, der wie ein dumpfer Schmerz unentwegt in mir bohrte.
    »Schau«, sagte er und wandte sich zum Fenster. Er zeigte auf einen hellen Streifen am bleigrauen Himmel, »‘s wird heller.
    Fast kann ich’s sehen, wie die Sonne aufgeht. Gott hat uns nicht vergessen. Er wird Vater nach Hause schicken. Ich spür’s in den Knochen. Sogar Vater würd’ uns nicht hier allein verhungern lassen, das weißt du genauso wie ich.«
    Ich wußte überhaupt nichts mehr – ich war am Ende.
    9. KAPITEL

    VATERS WEIHNACHTSÜBERRASCHUNG

    An einem Sommertag hätten Tom und ich die kurze Strecke zwischen der Hütte und dem Räucherhaus wohl sehr viel schneller zurückgelegt als an jenem Heiligen Abend. Schwer stapfend und aneinandergeklammert kämpften wir uns vorwärts. Der Wind pfiff uns um die Ohren, und der Schnee fiel so dicht, daß wir kaum etwas sehen konnten. Wir stopften unsere Taschen mit einem Dutzend von Großvaters besten Schnitzarbeiten voll und gingen zur Hütte zurück; er würde sie wohl kaum vermissen, da sie schon eine Ewigkeit im Räucherhaus lagerten.
    Als wir zurückkamen, hatte der Wind den Schnee hinter unserer Hütte zu beinah haushohen Schneewehen aufgetürmt.
    Tom stemmte die Türe auf, schob mich hinein und schlüpfte schnell hinterher. Blind stolperte ich ins Zimmer, meine Augen waren vom Schnee noch verklebt. Ganz verdattert sah ich mich um – und erstarrte. Ein freudiger, hoffnungsfroher Schreck durchfuhr mich!
    Vater! Er war also doch am Weihnachtstag zurückgekehrt!
    Endlich waren unsere Gebete erhört worden!
    Er stand im trüben Licht des Zimmers, das nur vom Ofen erhellt wurde, und starrte auf Keith und Unsere-Jane, die eng umschlungen schliefen. Obwohl Fanny herumtanzte und ein Freudengeschrei veranstaltete, wachten weder die beiden noch Großvater auf, der in seinem Schaukelstuhl schlief.
    Vater schien nichts zu hören, als wir leise ins Zimmer traten und uns so weit wie möglich von ihm entfernt hielten. Etwas an seiner Haltung, in der er auf seine zwei Jüngsten herunterblickte, mahnte mich zur Vorsicht.
    »Vater«, rief Tom erfreut, »du bist also doch zurückgekehrt!«
    Vater wandte sich um; sein Gesicht war ausdruckslos, so als erkenne er den großen Jungen mit den flammend-roten Haaren nicht. »Ich bring’ euch ‘ne Weihnachtsüberraschung«, sagte er dumpf und völlig ernst.
    »Vater, wo warst du?« fragte Tom. Ich blieb im Hintergrund und weigerte mich, ihn zu begrüßen, ebenso wie er es vermied, mich anzusehen oder auch nur meine Anwesenheit wahrzunehmen.
    »Geht dich nichts an.«
    Das war alles, was er sagte. Dann sackte er neben Großvaters

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