Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
war, passte nicht ins Bild. Sie liefen über eine breite Steintreppe auf die große Tür der Villa zu. Botta beugte sich hinunter und betrachtete das Schloss.
»Mist, das ist eines von den Nervensägen «, meinte er leise mit Kennermiene.
»Wie lange brauchst du dafür?«
»Das kann ich nicht sagen.« Er nahm wieder seinen Dietrich zur Hand und machte sich am Schloss zu schaffen. Casini schaute ungeduldig auf die Uhr.
»Wenn du das in zehn Minuten nicht hinkriegst …«
»Ich brauche Ruhe, Commissario. Das ist etwas kompliziert.«
»Entschuldigung.«
Die Minuten vergingen, und Botta arbeitete immer verbissener. Seine dicken Finger bewegten sich so behutsam, als sollten sie einer Eidechse einen Gipsverband anlegen. Endlich hörte man ein metallisches Klicken, und die Tür ging auf.
»Geschafft! Wie lange habe ich gebraucht?«
»Sechs Minuten.«
»Es hätte schlimmer sein können.«
»Vielen Dank, Ennio. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde.«
»Kleinkram und Lappalien«, sagte Botta und imitierte dabei Totò.
»Ich gehe da jetzt rein und warte auf den jungen Mann. Es tut mir leid, dass du zu Fuß gehen musst, aber im Moment kann ich dir nichts Besseres bieten.«
»Nur keine Sorge, Commissario, ein bisschen Bewegung hat noch niemandem geschadet.«
»Ciao, Ennio.«
»Dann viel Glück, Commissario.«
»Danke, ich kann’s brauchen.« Casini ging durch die Haustür und drehte den Türknauf, um das Schloss wieder ordentlich zu schließen. Durch die Fensterläden fiel Licht herein, und man konnte recht gut sehen. Allein der Eingangsbereich war viermal so groß wie seine ganze Wohnung. Gemusterte Fliesen, dunkle Möbel, alte Bilder, schöne Keramik … aus jedem kleinen Detail sprach Reichtum. Eine riesige Treppe führte in die oberen Stockwerke. Auf dem ersten Absatz bog er in einen langen Flur ein, von dem verschiedene Türen abgingen. Casini machte einen Rundgang durch die Zimmer. So ein Haus hatte er noch nie gesehen. Große Räume, persische Seidenteppiche, Armaturen im Stil der Renaissance, Skulpturen, Tiger- und Löwenfelle mit ausgestopften Köpfen und Glasaugen, Fernseher und moderne Lampen, Schränkchen mit Scheiben aus Bleiglas, alte und zeitgenössische Gemälde, elegante kleine Räume mit Sofas und Beistelltischchen, ein Musikzimmer mit einem Flügel, weitere Türen und Zimmer, die untereinander zu einem scheinbar unendlichen Labyrinth verbunden waren … die ideale Umgebung zum Versteckenspielen.
In einem Arbeitszimmer voller dunkler, bodenlanger Holzregale, die vor Büchern nur so überquollen, unterbrach Casini seinen Rundgang. Dieser Raum wurde anscheinend häufig benutzt: zwei große, moderne Sessel, ein niedriger Couchtisch aus Glas, auf dem Bücher und Flaschen standen, und eine alte, fast zwei Meter hohe Standuhr. Zwischen den beiden Fenstern stand leicht schräg zur Wand ein wunderschöner Schreibtisch mit einer Schreibmaschine darauf. In diese war ein Blatt Papier eingespannt, und Casini beugte sich vor, um die einzige Zeile, die dort stand, zu lesen: In diesem Augenblick begriff Ruggero, dass es wirklich passiert war, und er fühlte … Daneben lagen weitere Blätter umgedreht auf dem Tisch. Casini nahm sie und las auf der ersten Seite: Italo Signorini – Wer nicht stirbt, tut es wieder . Ein merkwürdiger Titel. Das musste ein Roman sein. Er las die ersten Zeilen. Ruggero war für das Leben in Gesellschaft nicht gemacht, ja, er hasste die Menschen sogar. Er hasste sie, weil er Angst vor ihnen hatte. Als Kind war er so schüchtern, dass er rot wurde, wenn man ihn nur ansprach. Er suchte die Einsamkeit, die Dunkelheit, die Stille. Seine Mutter hatte er nie kennengelernt, sie war gestorben, als er nur wenige Monate alt war. Sein Vater war ein sehr reicher, stattlicher Mann, der niemals lachte. Sie lebten in einer großen, düsteren Villa, die von einem Park umgeben war …
Der Erguss eines verwöhnten jungen Mannes, dachte Casini und legte die Blätter wieder hin. In einer Schublade fand er einige unbenutzte Spritzen und einen großen Wattebausch. Weiter hinten lag gut versteckt und in ein Stück Hirschleder eingewickelt eine Beretta, Kaliber neun. Sie war geladen, und eine Patrone steckte im Lauf. Eine illegale Waffe. Er steckte sie ein und fuhr mit seinem Rundgang fort.
Im zweiten Stock gab es weitere Salons und unzählige Schlafzimmer, die ziemlich muffig wirkten. Himmelbetten, Wandteppiche, Kleiderschränke mit Spiegeln, die mit der Zeit blind geworden waren. Nur ein
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