Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
Ecke der Piazza Piattelina.
Auf der Oberfläche der schlammigen Flut breiteten sich schwarze, ölige Schlieren von Heizöl aus, das aus den Tanks geflossen war. Die Menschen an den Fenstern im ersten Stock verschwanden einer nach dem anderen und tauchten kurz darauf an den Fenstern im Stockwerk darüber wieder auf. Die Leute in den niedrigeren Häusern stiegen auf die Dächer und setzten sich mit Regenschirmen über den Köpfen auf die Ziegel. Der Helikopter, den Casini bereits gehört hatte, kreiste weiter über der Stadt, aber man konnte ihn nicht sehen. Schwankend wie ein Boot schwamm ein VW Käfer vorbei. Nachdem er ein Verkehrsschild niedergerissen hatte, krachte er gegen eine Straßenecke der Via dell’Orto, bevor er Richtung Piazza Tasso weitertrieb. Vielleicht leistete er ja bald seinem eigenen Käfer Gesellschaft, dachte Casini und unterdrückte den Wunsch nach einer weiteren Zigarette.
Auf Überraschung und Verzweiflung folgte Resignation. Niemand sagte mehr etwas. Als würde ein Volk von schweigenden Gespenstern dem Weltuntergang beiwohnen. Man hörte nichts als das Rauschen des Regens und das Tosen der Schlammflut. Nur gut, dass der 4. November ein Feiertag war, dachte Casini. Wäre dies alles an einem normalen Werktag geschehen, wären zahlreiche Menschen in der Stadt unterwegs gewesen, viele Autos, Eltern, die ihre Kinder zur Schule brachten …
Es schien, als wäre die Zeit stehen geblieben. Nur eins bewegte sich, und das war die schlammige Masse, die auf ihrem Weg durch die Straßen Zentimeter für Zentimeter an den Fassaden höher stieg. Man konnte nur abwarten und dieses braune Ungeheuer beobachten, das zwischen den Häusern anschwoll. Jemand begann zu fotografieren, und andere taten es ihm nach.
Der Reporter Marcello Giannini, der im Sitz der RAI in der Via Cerretani festsaß, hielt sein Mikrofon aus dem Fenster und übertrug so live im Radio das Rauschen des schlammigen Flusses, der in Richtung Bahnhof vorwärtsdrängte. Es hieß, gleich würde Bürgermeister Bargellini sprechen, und alle hielten sich die Transistorradios noch dichter ans Ohr. Mit tonloser Stimme sagte Bargellini, alle sollten die Ruhe bewahren und auf die Hilfskräfte warten. Wer im Besitz eines Wasserfahrzeugs sei, solle es bitte so bald wie möglich zum Palazzo Vecchio bringen. Dann gab es wieder Nachrichten, und man berichtete über die anderen Gegenden Italiens, die vom Unwetter betroffen waren. Überall gab es Erdrutsche, Überschwemmungen, von der Außenwelt abgeschnittene Dörfer. Natürlich wurde auch über die Festakte zum Tag des Sieges berichtet. Viele Regierungspolitiker waren überall im Land an den Feiern beteiligt. Casini schaltete sein Transistorradio aus, um die Batterien zu schonen. Er steckte sich eine Zigarette in den Mund, zündete sie aber nicht an. Jetzt blieben ihm nur noch fünf.
Lange Stunden vergingen, während man wartete und rauchte, bis es um zwei Uhr nachmittags endlich zu regnen aufhörte. Inzwischen war das Wasser ungefähr bis zur Hälfte des ersten Stocks gestiegen, aber die Strömung hatte sich verlangsamt. Auf dem Schlamm war alles Mögliche vorbeigeschwommen, sogar ein Sargdeckel mit einem großen, angeschraubten Kruzifix darauf.
Im Radio wurde berichtet, man würde in Kürze ein Hilfszentrum auf dem Campo di Marte einrichten, wohin die Flut nicht gekommen sei und wegen des hohen Eisenbahndamms auch nicht kommen konnte. Dort wurden Hilfsgüter zusammengetragen, Lebensmittel, Mineralwasser, Medikamente. Aus den benachbarten Städten, die nicht von der Überschwemmung betroffen waren, hatten sich Amphibienfahrzeuge und Tankwagen in Bewegung gesetzt. Sämtliche Ärzte der Provinz wurden aufgefordert, sich im Careggi-Krankenhaus einzufinden, dem einzigen, in dem noch gearbeitet wurde. Aldo Moro und Minister Taviani waren nicht in Rom, der eine hielt sich bei Militärparaden in Gorizia auf, der andere in Bari. Man hatte sie umgehend über die Flutkatastrophe informiert, und sie koordinierten bereits eine umfassende Hilfsaktion. Außerdem kam die Meldung, über achtzig Häftlinge seien aus dem Gefängnis Le Murate ausgebrochen; sie seien über die Dächer geflohen und hätten Einwohner des Viertels gezwungen, ihnen Dachgauben und Fenster zu öffnen. Einige von ihnen galten als gefährlich, deshalb forderte man die Bürger auf, vorsichtig zu sein.
Es vergingen Stunden, Minuten, Sekunden. Alle waren zur Untätigkeit verdammt. Man konnte nichts tun, als dem trüben Wasser hinterherzuschauen,
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