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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Vichi
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flackerten leicht und warfen zitternde Schatten an die Wände. Wieder hatte er nur einen Gedanken: Giacomo Pellissari. Wer auch immer ihn getötet hatte, konnte aus diesem Chaos nur Vorteile ziehen. Die Überschwemmung würde die Aufmerksamkeit der Behörden auf lange Zeit fesseln, und alles andere würde zur Nebensache. Casini dachte an die Via Luna und fragte sich, wie hoch das Wasser dort stand. Vielleicht hatte die Schlammflut die Wohnung verwüstet, jede mögliche Spur zerstört und damit den einzigen Hoffnungsschimmer ausgelöscht, in dieser Angelegenheit ein wenig weiterzukommen. Nun würde der Mord an dem kleinen Jungen wahrscheinlich nie aufgeklärt.
    Jetzt hatte Casini nur noch eine Zigarette. Um dem Drang, sie zu rauchen, zu widerstehen, musste er sich irgendwie ablenken. Mit der Taschenlampe in der Hand ging er ins Wohnzimmer und leuchtete auf die Buchrücken im Regal. Dabei entdeckte er einige Bände mit Herodots »Historien«. Er hatte sie vor Jahren von einer Frau geschenkt bekommen, aber nie gelesen. Er nahm den ersten Band mit ins Schlafzimmer. Dort stellte er die Kerzen auf den Nachttisch, stopfte sich zwei Kissen in den Nacken und begann zu lesen …
    Die Lektüre fesselte ihn so, dass er die Überschwemmung darüber beinahe vergaß. So las er eine Weile und unterdrückte den Wunsch nach einer Zigarette. Besonders amüsierten ihn die Sitten bestimmter antiker Völker. Die Babylonier mussten zum Beispiel eine Steuer bezahlen, wenn sie eine schöne Frau heiraten wollten, so dass sich nur die Reichen dies erlauben konnten. Dieses Geld wurde dann aber an hässliche oder missgebildete Frauen als Mitgift verteilt, und die wurden natürlich von Männern aus dem niederen Volk geheiratet … Wie viel hätte er damals wohl bezahlen müssen, um die schöne Verkäuferin aus der Via Pacinotti zu heiraten?
    Gegen zehn ging er wieder ans Fenster und schaute hinaus. Auf den Fensterbrettern flackerten die Flämmchen der Kerzen. Im Halbdunkel konnte man stumme Gestalten ausmachen, die sich mit den Ellbogen aufstützten, und kleine Glutpünktchen von Zigaretten, an denen gierig gezogen wurde. Er leuchtete mit der Taschenlampe nach unten und lächelte. Einen halben Meter über der Wasseroberfläche war auf den Hausmauern eine dicke, tropfende Linie vom Heizöl zurückgeblieben. Die Flut wich bereits zurück, und das Wasser floss langsam in Richtung Fluss ab. Wenn es so weiterging, würde man in einigen Stunden das Haus verlassen können. Doch er hatte keine Lust, die Minuten zu zählen und ständig nachzusehen, wie das Wasser Zentimeter für Zentimeter fiel. Also schloss er das Fenster und ging zurück ins Bett. Er legte sich ein paar Decken über, schob sich die Kissen im Rücken zurecht und las weiter.
    Er erwachte mit dem Buch auf der Brust, und wenn er ausatmete, konnte er den Hauch seines Atems sehen. Es war richtig kalt geworden, und das Zimmer wurde jetzt vom Tageslicht erhellt. Es war kurz vor acht Uhr morgens. Er hatte bis spät in die Nacht gelesen, bevor er unvermittelt eingeschlafen war. Die Kerzen waren heruntergebrannt, und das Wachs war am Nachttisch entlanggelaufen. Casini ging zum Fenster und öffnete es. Unter dem klaren Himmel wirkte der Anblick noch trostloser. Die schlammige Brühe hatte sich fast vollständig zurückgezogen und als »Liebesgabe« zertrümmerte Autos, eingedrückte Haustüren und herausgerissene Rollgitter zurückgelassen und noch andere Trümmer, die die Gewalt der tobenden Flut mit sich gerissen hatte. Eine dicke, immer noch feuchte Linie aus Heizöl verlief in etwa drei Metern Höhe an den Hauswänden. In der Ferne war das Heulen zahlreicher Sirenen zu hören und das gleichmäßige Knattern von Hubschraubern. Die Bewohner kamen allmählich aus ihren Häusern, bleich, erschöpft, mit ungläubigem Blick. Sie stapften mit ihren Stiefeln oder mit Schuhen, die sie in oberhalb der Knöchel befestigte Plastiktüten gesteckt hatten, durch den schmatzenden Schlamm und sahen sich mit müden Augen um. Hin und wieder löste sich eine Sirene aus dem allgemeinen Konzert und schien näher zu kommen, dann entfernte sie sich wieder und mischte sich erneut unter die anderen.
    Casini ging in die Küche, um die Espressomaschine zu füllen, und dankte dem Himmel, dass ihm wenigstens die Gasflasche und die halbe Flasche Mineralwasser geblieben waren. Er fühlte sich merklich besser. Vielleicht lag es an der unvorhergesehenen Katastrophe. Während der Kaffee kochte, wechselte er seine Kleider, doch

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