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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Vichi
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zusammengebundenen Kopftuch weinte still vor sich hin, während sie haufenweise verrottetes Gemüse aus ihrem Laden trug.
    Als er auf die Piazza Nazario Sauro kam, hörte er schon den Arno rauschen. Der kleine Platz war angefüllt mit Autowracks. Einige hatten sich überschlagen und reckten die Räder in die Luft. Ein eingedellter Fiat 850 war quer auf dem Dach einer dicken Limousine gelandet. Wie lange würde es dauern, das alles wieder in Ordnung zu bringen?
    Casini setzte seinen Weg durch die Via di Santo Spirito fort. Überall das gleiche Bild: Zerstörung, Schutt und Trümmer und Schlamm. Grimmige Gesichter und fleißige Hände. Ab und an hörte man einen bitteren Witz, der bei den Umstehenden ein schiefes Grinsen auslöste. Die stinkende Schlammschicht in den Straßen ließ Florenz düster wirken, eine Stadt, die seit Jahrhunderten von blutigen Verschwörungen, grausamen Intrigen, Betrug und Verrat heimgesucht wurde, in der die unterschwelligen, ungesunden Spannungen schon seit jeher mit der falschen Heiterkeit eines Witzes überspielt wurden. Mit Tränen in den Augen kehrte man den Schlamm weg und machte schon Scherze über die Überschwemmung. Man erfand Witze in dem nie endenden Bemühen, sich nicht unterkriegen zu lassen.
    Piazza Frescobaldi: Auch der Borgo San Jacopo war von Autowracks und Unrat verstopft. Casini wandte sich Richtung Arno. Die Flut hatte den Ponte Santa Trinità nicht erreicht, und es war eine Wohltat, ein Stück laufen zu können, ohne im Schlamm auszurutschen. Die enormen, majestätisch dahinfließenden Wassermassen dröhnten so laut wie ein viermotoriges Flugzeug, so dass das Straßenpflaster unter seinen Füßen vibrierte. Von der Brücke aus schaute sich ein Häuflein Menschen die Schneisen der Zerstörung an, die der Einsturz des Lungarno Acciaioli und des Lungarno Corsini hinterlassen hatte.
    Ein weiterer Auftrag der öffentlichen Hand, bei dem wieder diverse Umschläge mit Geld ihren Besitzer wechseln würden, dachte Casini melancholisch. Mit Katastrophen hatte sich schon immer Geld machen lassen. Das war nichts Neues. Das Italien des wirtschaftlichen Aufschwungs nährte sich von Korruption, illegalen Geschäften und Steuerhinterziehung. Und im Grunde hatte niemand etwas dagegen, solange man selbst auch mehr Geld in der Tasche hatte und sich im Sommer an den Strand legen konnte. Die Italiener hatten etwa so viel Staatsverständnis wie ein Floh, und vielleicht nicht einmal das. Sie gierten nach Privilegien, setzten auf Beziehungen, waren fasziniert von den Reichen und Mächtigen. Man baute auf Vetternwirtschaft, und dass sich jeder prostituierte, fanden alle in Ordnung. Diese Mentalität schleppten sie seit Jahrhunderten mit sich herum und würden sich nie von ihr frei machen können. In Lampedusas »Der Leopard« hieß es, für Sizilien bestünde keine Hoffnung mehr, doch diese Aussage ließ sich gut und gerne auf das gesamte Land ausdehnen.
    Über den Schlamm schlitternd und bedrückt von seinen bitteren Gedanken, bog er in die Via Tornabuoni ein. Beim trostlosen Anblick des abgerutschten Lungarno hatte er sogar einen Hauch Freude verspürt, als hätte sich eine Rache endlich erfüllt. Wäre doch wenigstens der Ponte Vecchio eingestürzt, vielleicht sogar der Dom, Palazzo Vecchio mit all den gewählten Heuchlern darin … Florenz dünkte sich wegen seiner ruhmreichen Vergangenheit etwas Besseres, wie ein etwas beschränkter Sohn, der sich auf den Lorbeeren seines Vaters oder Großvaters ausruht. Selbst der Metzger Panerai und der Kuttelverkäufer aus San Lorenzo waren überzeugt, dass in ihren Adern noch das Blut Dantes, Michelangelos, da Vincis oder Brunelleschis floss. Schaut euch um und staunt, all die schönen Dinge, die ihr seht, haben wir geschaffen … wir Florentiner. Von hier ist die Fackel der Erneuerung in die Welt getragen worden, alle müssen sich vor unserem Genie verneigen! Kommt und gebt euer Geld in der Wiege der Renaissance aus, kauft unseren Kitsch, unsere Kunstpostkarten, die kleinen Davidsstatuen. Übernachtet in unseren Hotels, esst unsere Steaks, unsere Nudeln mit weißen Bohnen, die Kutteln, macht eine Kutschfahrt, fasst der kleinen Wildschweinstatue aus Bronze an die Nase. Was sollen wir weitere unsterbliche Werke schaffen, wenn wir doch die verhökern können, die wir schon haben? Wir sind schon immer Krämerseelen gewesen, und der Schutzgott des Handels ist auch der der Diebe … Und jetzt zitterte Florenz, weil sein kostbarer Besitz vom Schlamm

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