Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
durch die breiten Alleen, wo sich die Autos stauten und sich nur alle zehn Minuten einen Meter vorwärtsbewegten. Auch für Krankenwagen und Feuerwehr gab es kein Durchkommen. Einige schlammverkrustete Schutzleute bemühten sich, in der Mitte eine Fahrspur für sie frei zu machen.
Die Flutwelle hatte kurz hinter dem Englischen Friedhof Halt gemacht, deshalb war der Viale Matteotti ohne Probleme passierbar. Wie angenehm, einmal keinen Matsch mehr unter den Sohlen zu haben. Auf seinem Weg über die Piazza Libertà sah Casini, dass der Zeitungskiosk geöffnet war und sich davor eine lange Schlange gebildet hatte. Er ging bis zur Ecke zum Viale Lavagnini. Auch dort gab es von Hochwasser keine Spur; Cesares Trattoria war verschont geblieben. Und was war mit Totò? Casini wusste nur, dass er in der Via Pisana wohnte, aber nicht mehr, in welchem Stockwerk. Er kehrte um und bog in die Via San Gallo ein. Obwohl er das Präsidium in der Via Zara erst vor zwei Tagen verlassen hatte, kam es ihm vor, als sei es schon zehn Jahre her. Der Mord an dem kleinen Jungen schien nur noch eine ferne Erinnerung, vom Lauf der Ereignisse überrollt. Bei einer Katastrophe mit diesen Ausmaßen gab es wesentlich dringlichere Aufgaben zu erledigen, und man konnte nicht stur seinen Ermittlungen nachgehen. Mit einem leicht bitteren Nachgeschmack musste er sich eingestehen, dass dies beinahe sein Glück war, da er keinen blassen Schimmer hatte, wo er noch ansetzen sollte.
Das Polizeipräsidium war ebenfalls vom Hochwasser verschont geblieben. Im Hof drängten sich Menschen, die ihre Wohnungen hatten verlassen müssen und jetzt nicht wussten, wo sie ihre müden Glieder betten sollten. Ständig fuhren Militärfahrzeuge hinein oder hinaus. Die Stimmung schwankte zwischen geduldig und aufgeregt. Kinder schauten verängstigt um sich, in den Augen der Alten stand das Grauen des Krieges.
Mugnai war blass, er wirkte magerer als sonst. Gemeinsam mit anderen Polizeibeamten bewegte er sich geschäftig durch das Chaos. Sobald er den Kommissar sah, lief er ihm entgegen.
»Commissario! Liegen Sie denn nicht mit Fieber im Bett?«, fragte er, als habe er gerade einen Geist gesehen.
»Mir geht es viel besser … Wo werden die denn hingebracht?«, fragte er und zeigte auf einen Lastwagen, in dem sich eine Gruppe der obdachlos Gewordenen befand.
»Überall, wo Platz ist. In Kasernen, Klöster und ein paar Schulen.«
»Ist deine Wohnung überschwemmt worden?«
»Alles in Ordnung, Commissario. Ich wohne im Viertel Le Cure.«
»Und Dottor Inzipone?«
»Der war gestern Nacht eine halbe Stunde hier, dann ist er zum Bürgermeister gegangen. Jetzt müsste er in der Präfektur sein.«
»Funktioniert das Telefon?«
»Die gesamte Versorgung ist zusammengebrochen, es gibt auch keinen Strom mehr. Wir behelfen uns mit Generatoren.«
»Ist Piras da?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, seit gestern früh herrscht hier das Chaos.«
»Dann leg dich mal hin, du bist bleich wie der Tod.«
»Jetzt nicht, Commissario«, sagte Mugnai und kehrte zu der wartenden Menge zurück. Casini ging direkt zum Funkraum. Dort konnte man die Luft mit dem Messer schneiden, und alle sahen müde aus. Auf den Tischen waren topografische Karten der Umgebung und Stadtpläne ausgebreitet, und überall standen leere Espressotassen herum. Niemand dachte dort mehr an den ermordeten Jungen …
Man brachte ihn auf den neuesten Stand. Im Laufe der Nacht waren alle Männer, auch die verheirateten, zum Dienst beordert worden. Man versuchte, die Toten zu zählen und den Überlebenden zu helfen, entwarf Pläne, um die Versorgung mit Trinkwasser, Gas und Strom, das Telefonnetz und die Abwasserkanäle wiederherzustellen. Einige der entflohenen Häftlinge waren von selbst zurückgekommen, und einer von ihnen war ertrunken, während er noch versucht hatte, sich an einem Baumstamm festzuhalten. Man beschäftigte sich bereits mit den beschädigten Kunstwerken, den verwüsteten Kirchen, Museen, den Bibliotheken. In Rom plante man für den nächsten Tag einen Besuch von Präsident Saragat, und in der Präfektur wurden turbulente Sitzungen abgehalten. Kurz zuvor war die Anweisung erfolgt, dass man in der Notlage eigenständig entscheiden sollte, ohne erst auf Befehle zu warten.
Man hatte eine Art Kurierdienst eingerichtet. Einige Polizeibeamte patrouillierten durch die Stadt und informierten sich über die Lage, dann erstatteten sie im Präsidium Bericht. Notfälle wurden per Funk an das Generalkommando der
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