Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Roman
während der Beschattung aus den Augen verlieren würde.
Es gab nicht viele Informationen über Livio Panerai. Er war vierundvierzig Jahre alt, Sohn von Oreste Panerai, einem unbescholtenen Metzger, der sieben Jahre zuvor gestorben war, und von Adelina Cianfi, die noch lebte und in der Via del Ponte alle Riffe wohnte. Er hatte eine ganz normale Vergangenheit: faschistische Jugendorganisation, später Anhänger der Italienischen Sozialrepublik, aber anscheinend mit ziemlich reiner Weste. Seit Kriegsende gab es keine Anzeichen für politische Aktivitäten. Er war mit der Metzgerei zu Wohlstand gekommen. Vor fünf Jahren hatte er sich eine Erdgeschosswohnung in einem dreistöckigen Wohnhaus in der Via del Palmerino gekauft. 1948 hatte er Cesira Batacchi geheiratet, und sie hatten eine siebzehnjährige Tochter, Fiorenza, die das Liceo Dante besuchte. Keine Vorstrafen. Ein arbeitsamer Mensch. Ein ordentlicher Waffenschein für Jagdwaffen. Ein dunkelgrauer Lancia Flavia und ein cremefarbener Fiat 850, mit dem er zur Arbeit fuhr. Sein Tagesablauf war unauffällig. Er teilte sein Leben zwischen Zuhause und Geschäft auf. Nur ab und zu gab es eine kleine Änderung im Plan. Eines Morgens war er vor Öffnung des Ladens zum Postamt gegangen, um eine Rechnung zu bezahlen. Bis zum Beweis des Gegenteils hatte also wirklich er die Telefonrechnung verloren. An einem Nachmittag hatte er seinen Laden zehn Minuten früher geschlossen, um in der Waffenhandlung in Ponte di Pino einige Schachteln Munition zu kaufen. Am Sonntag war er mit der ganzen Familie bei seiner Mutter zum Mittagessen gewesen. Nach dem Abendessen blieb er fast immer zu Hause, allerdings lud der ständige Regen auch nicht gerade zum Ausgehen ein. In einer Woche war er nur einmal abends mit seiner Frau ins Cinema Aurora gegangen, um sich dort »Die unglaublichen Abenteuer des hochwohllöblichen Ritters Branca Leone« anzusehen. Das war alles.
Also ein gutmütiger Kerl, der perfekte Unschuldige. Doch Casini wollte nicht auf die einzige Spur verzichten, die er hatte, und ließ ihn weiter überwachen. Er hatte nicht einmal versucht, die Erlaubnis zum Abhören seines Telefons zu erhalten, denn er wusste, dass Dottore Ginzillo dies nie genehmigen würde: Commissario Casini, erklären Sie mir das bitte, damit ich es verstehe! Sie möchten die Privatsphäre eines freien Bürgers der Republik Italien verletzen, und das wegen einer Telefonrechnung? Die Sie wo gefunden haben? Zweihundert Meter vom Fundort der Leiche entfernt! Was soll ich sagen, sind Sie verrückt geworden? Dafür würde man ganz andere Beweise brauchen, mein lieber Commissario … So ungefähr hätte dieses Rattengesicht sich ausgedrückt. Nicht aus Überzeugung, nur aus Angst vor Schwierigkeiten.
Inzipone wurde immer nervöser und gab sich keine Mühe, es zu verbergen. Er plagte Casini mit sinnlosen Anrufen, sagte ständig das Gleiche. Haben Sie die Zeitungen gelesen? Worauf zum Teufel warten Sie noch? Warum schlafen Sie?
Der Kommissar wartete geduldig, dass sich bei den Beschattungen etwas Neues ergeben würde, doch je mehr Tage und Stunden vergingen, desto mehr schwand seine Hoffnung. Auch Jack the Ripper hatte man nie gefunden und mit ihm viele andere. Und wenn diese Monster wieder zuschlagen würden?
Während der langen Zeit des Wartens musste sich Casini eines Morgens mit einem neuen Selbstmord beschäftigen. Ein junges Mädchen aus einfachen Verhältnissen hatte sich mit dem Gürtel ihres Morgenrocks in einem Luxusapartment, das ihr gehörte, im Zentrum aufgehängt. Die Putzfrau hatte ihre Leiche am Morgen nach ihrem Tod gefunden. Die Mutter des Mädchens sagte weinend, Matilde hätte sich niemals umgebracht, sie müsse ganz sicher ermordet worden sein. Sie war aus allen Wolken gefallen, hatte nichts von der Wohnung gewusst und fragte sich, wie ihre Tochter sich diese mit dem Geld, das sie als Verkäuferin im Kaufhaus UPIM verdiente, hatte leisten können. Nicht einmal Casini blickte da durch, und er machte sich an die Arbeit. Doch dann hatte er ziemlich leicht herausgefunden, was passiert war. Das Mädchen hatte drei Monate zuvor gekündigt und war die Geliebte eines sechzigjährigen Unternehmers aus Prato geworden. Casini suchte ihn auf, und der Mann gab sein Verhältnis mit dem Mädchen sofort zu. Er erklärte, er sei zutiefst betrübt. Und er machte kein Geheimnis daraus, wie viel Geld er für die junge Frau ausgegeben hatte. Er hatte ihr die Wohnung geschenkt und bezahlte sogar eine Putzfrau.
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