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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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größer waren als meine Brüste.
    Als ich mir am Montag in Chemie einen Hocker holte, war Keith noch nicht da, aber Gretchen saß schon schräg gegenüber an unserem Versuchstisch, den Kopf auf dieTischplatte gelegt. Sie hielt mal wieder ein Powerschläfchen.
    Beim Hinsetzen fragte ich leise: »Greti?«
    Sie schoss hoch, als hätte ihr etwas einen Schlag versetzt. »Oh, hi«, sagte sie. Heute trug sie kein Snoopy-Pflaster auf der Nase, ihr Piratenring war also nicht zu übersehen. Sie kratzte sich ausgiebig am Kopf.
    Mir fiel Sheriff McGarrys Warnung, Gretchen könne in etwas hineingeraten, wieder ein. Wenn ich nur wüsste, in was. Es lag irgendwo in dem Jucken, den Nickerchen und ihrem leeren Blick verborgen. Aus dieser Formel wurde ich nicht so ganz schlau.
    »Brauchst du ein Antiallergikum? Die Krankenschwester hat bestimmt welches da.«
    Gretchen sah mich an, als spräche ich Chinesisch.
    »Du kratzt dich doch ständig«, sagte ich.
    Sie nahm die Hand herunter und inspizierte ihre Fingernägel. »Ach so, ja«, sagte sie. »Hab ’n Ekzem. Gut, dass es nicht an der Nase ist. Gott bewahre, dass ich noch unhygienisch werde.«
    Sie lächelte mich an und ich lächelte auch, aber überzeugt war ich nicht. Ihre Augen strahlten, und ihre Worte klangen so geschliffen, als kämen sie aus einem Drehbuch. Fast schien sie darauf zu warten, dass ich sie nach dem Film fragte.
    Dann kniff sie die Augen zusammen und sah über meine Schulter zur Tür. »Oh Mann«, sagte sie und lehnte sich mit verschränkten Armen auf ihrem Hocker zurück.
    Keith Spady. Ich musste mich gar nicht erst umdrehen, um zu wissen, dass er es war, denn man roch ihn schon vom Flur her. Er hatte wieder Nelkenzigaretten geraucht. Außer ihm kannte ich niemanden, der diesem würzig-süßen Laster frönte. Es hatte etwas Tröstliches. Wie Kardamombrot.
    Ich fuhr mir mit der Zunge über die Zähne und hoffte, dass keine Essensreste dazwischenhingen. Zur Tür schaute ich geflissentlich nicht.
    Gretchen stöhnte, als sie Keith sah, und zischte mir dann zu: »Er merkt es.«
    »Was?«
    »Wie du auf ihn stehst. Bitte, schmachte ihn nicht so an. Der ist sowieso schon so aufgeblasen.«
    Doch als er sich einen Hocker holte und sich neben mich setzte, wurde mir vor Aufregung und Kummer ganz schwindlig. Da waren sie wieder, die Brusthaarlocken, die coolen Klamotten. Kleidung macht was aus, auch bei Jungs. Das konnte einem jeder Fan von britischen Konzeptalben sagen. Und Keith zog sich an, als wäre er gerade dem Set von
Quadrophenia
entstiegen.
    Mit einem dumpfen Knall ließ er seine Bücher auf den Tisch fallen. »Greti, ich hab nachgedacht. Du solltest ’ne Party schmeißen«, sagte er.
    »Was?«
, sagte Gretchen empört und ich witterte etwas Schärferes als den Geruch von Nelkenzigaretten. Gretchen mochte Keith nicht, ja sie konnte ihn nicht ausstehen, und es war mir ein Rätsel, warum. Schließlich waren sie die beiden einzigen coolen Leute an der Schule. Man solltemeinen, dass sie gut zusammenpassten. Aber Gretchen wollte eindeutig nichts mit ihm zu tun haben.
    »’ne Party«, wiederholte Keith. »Und zwar, weil Ronnie auf andere Gedanken kommen muss.«
    »Hm?«, sagte ich.
    Das war nicht mit mir abgesprochen. Er hatte überhaupt noch nie mit mir gesprochen. Außer über Kiefernzapfen. Und das Periodensystem.
    Gretchen schüttelte den Kopf und machte ein trauriges Gesicht. »Zieh sie da nicht mit rein«, sagte sie.
    »Worein?«, fragte ich, aber die beiden schienen mich gar nicht zu hören.
    »Ach, komm. Nichts hilft einem so gut über einen frühen Verlust hinweg wie ’ne Bierparty.«
    Fassungslos starrte ich ihn an. Ich konnte mich nicht entscheiden – war er so cool, dass ich ihn nicht mal verstand, oder war er einfach nur ein unsensibler Klotz?
    Gretchen hatte da keine Probleme. »Nein«, sagte sie scharf. »Ganz sicher nicht.« Ihre knappe Antwort ließ die Stimmung kippen. Als wäre die Luft vorher mild und duftend gewesen und nun ganz schal, als wollte Gretchen Keith abschneiden wie die Scheiben von einer Rolle Zimtschneckenteig.
    Zum Glück ließ Keith nicht so leicht locker. »Wie wär’s mit Freitag?«, fragte er.
    »Freitag geht nicht. Da hat Mom frei.«
    Gretchen war ein Schlüsselkind. Wo ihr Vater steckte, wussten wir nicht, und Mrs Kinyon, ihre Mutter, hatte fastgenauso schlimme Arbeitszeiten wie Gretchen. Sie kellnerte in
Phil’s Tiki Hut
, ihr Chef war also Keiths Stiefvater, Phil LaMarr – ein Typ mit grauem Pferdeschwanz, der Hawaiihemden

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