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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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jenes. Greif nicht nach Dingen, die du nicht verstehst. Jag Verlorenem nicht hinterher
.
    Die Vorstellung, noch einsamer zu werden, als ich es ohnehin schon war, ertrug ich nicht. Sie weckte in mir den Drang, zu rennen und zu springen wie ein Tier in freier Wildbahn. Ich wollte ausbrechen.

    Eigentlich hatte ich fest vor, bis zum Schluss beim Leichtathletiktraining zu bleiben und dann wie geplant nach Hause zu fahren, doch das änderte sich, als ich nach draußen auf den Sportplatz kam und sah, dass es bald schon dämmern würde. Wenn ich heute noch auf Erkundung gehen wollte, musste ich es jetzt tun.
    Ich ging zu Ranger Dave, der mit der Trillerpfeife um den Hals dastand und etwas auf sein Klemmbrett schrieb. Er trug eine Windjacke gegen den Regen und Shorts, keine Jogginghose. Ich sollte wohl auch erwähnen, dass er beeindruckend kräftige, schlanke Oberschenkel hatte, obwohl ich es schrecklich fand, dass mir das auffiel (schließlich war er mein Trainer). Direkt über dem Knie, wo Sehne auf Muskel traf, zeichnete sich ein umgekehrtes V ab. Das waren die Beine eines Leistungssportlers.
    Oberschenkel hin oder her, Ranger Dave war ein guter Kerl. Ich log ihn nur ungern an, aber ich hatte keine andere Wahl. »Hey, Coach«, sagte ich ganz locker.
    »Seid ihr so weit?«, fragte er, ohne aufzusehen. »Wie wär’s, wenn ihr euch erst mal tausendfünfhundert Meter warm lauft? Danach machen wir Kurzsprints.«
    »Klar. Ein paar von uns wollten wissen, ob wir die einsfünf auch querfeldein laufen können. Wir haben die Bahn langsam satt.«
    Er schmunzelte in sich hinein. »Das will ich doch nicht hoffen. Die Saison hat gerade erst angefangen.«
    Ich sagte nichts, wartete nur schweigend ab.
    Er seufzte. »In der Gruppe?«
    »Bloß Allison, Nolan und ich.« Ich zeigte dorthin, wo Nolan Chapman, Allison Lehman und ein paar andere Kurzstreckenläufer Ausfallschritte und Dehnübungen an der Wand machten.
    »Na gut. Bis zum
Tiki Hut
und zurück. Okay? Bleibt zusammen und legt ja keine Cocktail-Pause ein.«
    Ich lachte halbherzig mit. Wie es einem nach dem Skorpion aus dem
Tiki Hut
ging, hatte ich schon gesehen. Den meisten war kotzübel. Und wenn sie vorhatten, sich hinters Steuer zu setzen, bekamen sie dank Sheriff McGarry auch noch Handschellen angelegt.
    »Kapiert. Keine Cocktails«, sagte ich.
    Ich joggte um die Bahn, als wollte ich zu Nolan Chapman und Allison Lehman, während ich in Wahrheit an ihnen vorbeilief. Als ich am anderen Ende des Sportplatzes war und Ranger Dave den Kopf über seine Stoppuhr senkte, schlüpfte ich durchs Törchen auf die Santiam River Road. Und dann rannte ich wie ein Hirschbock, bis ich außer Sichtweite war.
    Immerhin brauchte er keine Angst zu haben, dass ich mich abfüllen ließ, denn zum
Tiki Hut
wollte ich nicht.
    So ungern ich es auch zugab, in einem Punkt hatte Gretchen recht: Ich hatte keine Methode. Ich lief nur planlos durch die Gegend und hoffte, über irgendetwas zu stolpern. Darum probierte ich es heute mal anders. Ich fing an der Flussmündung an, wo das Wasser blau-weiß strudelteund schäumte, bevor es zur ruhigen, glatten Fläche des Detroit Lake wurde. Da Karen weiter flussaufwärts gelegen hatte, rechnete ich nicht damit, hier etwas zu finden. Ich wollte nur etwas zu verzeichnen haben, einen Beweis, wo ich gewesen war.
Siehst du, Gretchen? Hier hab ich schon gesucht. Ich kann auch systematisch vorgehen
.
    Diesen Flussabschnitt zu durchkämmen, dauerte viel länger als hinter dem Gasthof, weil hier Häuser standen. Nicht viele, aber ich hatte ein ungutes Gefühl dabei, durch die Gärten zu trampeln. Ab und zu tat ich es trotzdem.
    Wonach ich suche, weiß ich, wenn ich es finde
. Vielleicht hatte sich noch etwas von Karen verfangen und drehte sich in der Strömung. Trug sie Schuhe, als ich sie aus dem Fluss zog? Einen Haarreif? Ich erinnerte mich nicht mehr. Ich wollte einfach etwas, das der Fluss zurückbehalten hatte, eine Spur, die geblieben war.
Hier. Karen war hier
. Doch ich suchte nicht nur nach Spuren von Karen – es musste etwas von Karen kombiniert mit etwas anderem sein, einem größeren Fußabdruck, einem achtlos weggeworfenen Streichholz. Etwas, das die ganze Stadt entzünden und den Weg leuchten würde zu dem, was wirklich passiert war.
    Doch als der Himmel von Grau in Schwarzblau überging, kam ich zu dem traurigen Schluss, dass der Fluss seine Geheimnisse noch immer nicht preisgab. Ich fand Spuren von Umweltverschmutzung, aber nichts, was den Weg leuchtete. Nur

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