Dunkle Wolken über den Schären: Mittsommerträume (German Edition)
1. KAPITEL
W ie ein Gebirge türmten sich die mächtigen dunklen Wolken am Himmel über der schwedischen Ostsee auf. Sie hingen so tief, dass Jenny Mälarsson fast glaubte, sie berühren zu können, wenn sie die Arme nur weit genug ausstreckte.
Doch im Moment benötigte sie ihre Hände für etwas anderes. Nämlich dazu, sich an der Reling des kleinen einmastigen Segelbootes festzuklammern, um nicht über Bord zu gehen.
Wie ein Spielball wurde die
Jennifer
von den Wellen hin und her geworfen. Torben hatte das Boot nach ihr benannt, damals, in jenen kurzen zwei Jahren, die sie heute als die glücklichsten ihres Lebens betrachtete.
Der Wind brauste jetzt fast mit Orkanstärke über den kleinen Schärengürtel vor der Küste von Lillebom hinweg.
“Das sieht nach einem üblen Sturm aus”, hatte Björn Anderson, der Hafenmeister, sie vor dem Auslaufen gewarnt. “Seien Sie vernünftig und lassen Sie ihr Boot im Hafen. Sie werden es sonst bestimmt bereuen.”
Inzwischen bereute Jenny tatsächlich, seine Worte nicht ernst genommen zu haben, doch sie hatte sich nicht von ein paar grauen Wolken und ein bisschen Wind abschrecken lassen wollen. Und jetzt war es zu spät, um noch umzukehren. Die kleine Schäreninsel Vattenfå konnte nicht mehr weit entfernt sein. Wenn es ihr doch bloß gelänge, den Anleger rechtzeitig zu erreichen, ehe hier draußen die Hölle losbrach …
Wie aus dem Nichts begann es zu regnen. Von einer Sekunde auf die andere stürzten regelrechte Wassermassen vom Himmel herab. Und obwohl Jenny sofort das Ölzeug, das sie in einer Kiste am Bug des Schiffes aufbewahrte, überstreifte, war sie innerhalb von Augenblicken bis auf die Haut durchnässt. Die zunehmende Stärke des Windes zwang sie, das große Vorsegel gegen die Sturmfock auszutauschen und das Hauptsegel zu reffen, um ein Kentern oder Querschlagen der Jennifer zu vermeiden.
Der Sturm peitschte ihr den Regen ins Gesicht, das vor Kälte brannte. Das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer, da ihr der Wind die Luft förmlich aus den Lungen riss. Für gewöhnlich gehörte Jenny nicht zu den Menschen, die sich leicht entmutigen ließen, aber jetzt keimte Furcht in ihr auf.
Sie war keine sehr erfahrene Seglerin, und es bestand ein meilenweiter Unterschied darin, ein Boot bei hellem Sonnenschein und ruhiger See zu steuern oder bei diesem Wetter. Was sollte sie jetzt bloß tun?
Angespannt wischte sie sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht, die unter der Kapuze ihrer Regenjacke hervorgerutscht war.
Denk nach! Du bist doch sonst so gut darin, zu improvisieren!
Sie kniff die Augen gegen Wind und Regen zusammen und versuchte, die Küste von Vattenfå auszumachen. Doch nichts. Nur ein schmutziges Grau in Grau, wo die aufgewühlte See und der düstere Himmel miteinander zu verschmelzen schienen.
Eine mächtige Welle rollte über die Jennifer hinweg und ließ das kleine Boot unter Jennys Füßen erzittern. Im selben Moment erblickte sie etwas Dunkles, das ungefähr hundert Meter voraus aus dem Wasser ragte, und es überlief sie eiskalt. Hatte Björn sie nicht vor den gefährlichen Klippen an der Ostküste von Vattenfå gewarnt?
Und sie steuerte direkt darauf zu!
Jennys Gedanken rasten. Sie wusste, wenn nicht plötzlich ein Wunder geschah und der Wind sich drehte, würde sie es nicht mehr rechtzeitig schaffen, den Kurs der Jennifer zu korrigieren. Nicht bei diesem Sturm. Sie hatte nur noch eine einzige Chance: die Segel einzuholen und es mit dem Hilfsmotor zu versuchen.
Es kostete sie wertvolle Minuten, in denen das Boot immer weiter den bedrohlichen Felsen entgegentrieb. Am Ende ihrer Kräfte angelangt, ging sie neben dem Außenbordmotor in die Knie und betätigte den Anlasser.
Nichts geschah.
“Nein!”, stieß sie ungläubig hervor. “Nein, das darf nicht wahr sein!”
Sie versuchte es erneut, mit demselben Ergebnis. Beim dritten Mal sprang der Motor kurz an, nur um dann stotternd wieder zu verstummen.
Jenny stöhnte auf. Tränen der Verzweiflung strömten ihr über die Wangen. Sie wischte sie mit einer wütenden Handbewegung weg. Verflixt, sie war ja selbst schuld an der Misere, in der sie steckte! Überhaupt auszulaufen, war schon leichtsinnig gewesen. Aber zuvor nicht einmal die Ausrüstung auf ihre Funktion zu überprüfen, grenzte an Dummheit.
Unaufhörlich trieb das Boot auf die Felsen vor Vattenfå zu, und es gab nichts mehr, was Jenny dagegen unternehmen konnte. “Hilfe!”, rief sie aus reiner Verzweiflung, jedoch ohne große
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