Dunkle Wünsche
Elinor wußte das, aber
es war ihr egal; für sie war es einfach eine leichte Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt
zu verdienen. Sie hatte einen sehr praktischen Verstand, Elinor, und sie
verdiente sehr gut. Durchschnittlich um dreihundert Dollar herum pro Woche,
erzählte sie mir.«
»Sie
war also ein professionelles Call-Girl?«
»Ja«,
sagte Angela Palmer und nickte. »Und die Antwort auf Ihre nächste Frage fällt
negativ aus. Ich bin keins.«
»Das
gefällt mir nicht«, murmelte ich.
»Was
gefällt Ihnen nicht? Daß ich keins bin, oder daß sie eins war?«
Ich
ignorierte das. »Es gefällt mir nicht, weil es bedeutet, daß sie von einem
Kunden ermordet worden sein kann«, knurrte ich. »Von irgendeinem, den sie
zufällig aufgelesen hat, einem Paranoiker vielleicht, der sie ausgesucht hat,
weil sie schutzlos war und weil er ohnehin nur zu Besuch nach Pine City
gekommen war. Vielleicht ist er bereits wieder halbwegs in Chicago oder
sonstwo.«
Sie
schüttelte entschieden den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
»Sind
Sie hellsichtig?«
»Ich
weiß, wie Elinor zu arbeiten pflegte, und das hätte ihr gar nicht ähnlich
gesehen. Sie hat mir alles darüber erzählt; und für ein Mädchen, das strikte
Amateurin ist, war das faszinierend. Elinor hatte eine sehr sachliche
Einstellung zu der ganzen Sache; sie hatte nur reguläre Kunden, und sie
bezahlten ihr hundert Dollar für einen Besuch oder eine Übernachtung. Wenn
irgend etwas darüber hinaus verlangt wurde, stieg der Preis, aber sie ermutigte
die Männer nie zu gemeinsamen Wochenenden, denn sie wußte ihre freie Zeit zu
schätzen. Also arbeitete sie zwei, manchmal drei Nächte in der Woche, das war
alles. Sie hatte eine sehr begrenzte Klientel, wie ich schon sagte, nicht mehr
als sechs Männer im ganzen, schätze ich.«
»Vielleicht
hat sie die Namen der Männer irgendwo aufgeschrieben?« sagte ich mit
träumerischer Stimme.
»Nun
ja«, sagte Angela Palmer ruhig, »vielleicht hat sie das getan. Elinor war ein
sehr systematisches Mädchen, das Wert darauf legte, ehrlich zu sein und seine
Steuern zu zahlen. Ich bin sicher, daß sie über all ihre geschäftlichen
Unternehmungen Buch geführt hat.«
»In
ihrer Wohnung?« sagte ich mit erstickter Stimme.
»Wo
sonst?« Sie zuckte leicht die Schultern und strich sich dann über die
Innenseite ihres rechten Oberschenkels. »Wenn Sie nachsehen wollen, Lieutenant,
werde ich mitkommen und Ihnen helfen. Ich möchte nicht länger hierbleiben, als ich
unbedingt muß.«
»Haben
Sie einen Schlüssel zu ihrer Wohnung?«
»Nein.«
Sie wies mit dem Kopf auf die kleine schwarze Abendtasche, die ich nach wie vor
in der Hand hielt. »Aber Sie, soviel ich sehe. Das ist Elinors Handtasche.«
»Also
verschwinden wir von hier, sobald der Fleisch..., äh — die Ambulanz eintrifft.
Soweit ich mich erinnere, sagten Sie, sie seien nicht in derselben Branche wie
Elinor tätig gewesen. Was haben Sie denn für einen Beruf?«
»Ich
bin Tänzerin«, sagte sie, und ihre Hüften beschrieben unbewußt einen Kreis.
»Exotische Tänzerin. Ich habe eine Wohnung unmittelbar neben der Elinors. Auf
diese Weise lernten wir uns kennen.«
»Und
befreundeten sich so sehr, daß Sie beschlossen, gemeinsam ein Strandhaus zu
mieten?«
»Stimmt!«
»Was
hat Sie bewogen, heute morgen hier herauszukommen?«
»Es
ist ein schöner Tag, mir war nach Schwimmen zumute.« Sie schloß flüchtig die
Augen. »In meinem Horoskop stand, heute sei ein schlechter Tag für Reisen. Ich
wollte, ich hätte das ernst genommen.«
»Eine
exotische Tänzerin, die Gedichte in freien Versen von sich sprudelt?« sagte ich
verwundert.
»Ist
denn dagegen etwas einzuwenden?« sagte sie gleichmütig.
»Ich
muß erst in der Dienstvorschrift nachsehen«, gab ich zu. »Aber es ist
jedenfalls eine kühne Kombination.«
»Ich
glaube, ich möchte noch schnell einen Blick auf Elinor werfen«, sagte sie mit
gepreßter Stimme. »Das ist doch nicht verboten?«
»Nein.«
Ich schüttelte den Kopf.
Sie
ging an mir vorbei ins Schlafzimmer, und ich wartete. Nach etwa einer halben
Minute erschien sie wieder. Ihr Gesicht war kreideweiß, und ihre Augen hatten
wieder diesen verschwommenen somnambulen Ausdruck. Sie ging geradewegs auf mich
zu, warf ihre Arme um meinen Hals und vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter.
Ein paar Sekunden lang spürte ich das Gewicht ihrer vollen Brüste, die sich
gegen meine Brust preßten, und die feste Rundung ihrer Hüften an den meinen.
Schließlich ließ sie
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