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Dunkler Dämon

Dunkler Dämon

Titel: Dunkler Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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den Kuchen, und dann nahm mich Harry mit hinaus in den Garten unseres bescheidenen Hauses in Coconut Grove. Er setzte sich an den Tisch aus Redwood, den er neben dem gemauerten Grill gezimmert hatte, und bedeutete mir, ebenfalls Platz zu nehmen.
    »Nun, Dex«, sagte er. »Sechzehn. Du bist beinahe ein Mann.«
    Ich war nicht sicher, was er damit sagen wollte – Ich? Ein Mann? Wie in Mensch? –, und wusste nicht, welche Reaktion von mir erwartet wurde. Aber ich wusste, dass es nie eine gute Idee war, Harry dumme Antworten zu geben, deshalb nickte ich nur. Harry sah mich mit seinem blauen Röntgenblick an. »Interessierst du dich eigentlich für Mädchen?«, fragte er.
    »Äh – wie meinst du das?«
    »Küssen. Es tun. Du weißt schon. Sex.«
    Beim Gedanken daran wurde mir schwindelig, ich hatte das Gefühl, als ob ein eisiger, dunkler Fuß von innen gegen meine Stirn trat. »Nein, äh, äh, nein«, erwiderte ich, glattzüngig selbst in dieser Situation. »Nicht auf diese Weise.«
    Harry nickte, als ergäbe das einen Sinn. »Und auch keine Jungs«, sagte er, und ich schüttelte nur den Kopf. Harry sah auf den Tisch, dann zum Haus. »Als ich sechzehn wurde, nahm mein Vater mich mit zu einer Hure.« Er schüttelte den Kopf, und ein sehr dünnes Lächeln zuckte über sein Gesicht. »Es dauerte zehn Jahre, bis ich darüber hinweg war.«
    Mir fiel absolut keine passende Bemerkung ein. Der Gedanke an Sex war mir vollkommen fremd, und dafür zu
bezahlen,
und dann noch für das eigene Kind, und wenn das Kind
Harry
war – also wirklich. Es war alles zu viel. Ich sah Harry beinahe panisch an, und er lächelte.
    »Nein«, sagte Harry. »Das wollte ich dir nicht anbieten. Ich nehme an, dass du von der Angel mehr Nutzen hast.« Er wiegte den Kopf und sah fort, über den Tisch, quer über den Garten, hinunter zur Straße. »Oder von einem Filetiermesser.«
    »Ja«, erwiderte ich, wobei ich mich bemühte, nicht zu gierig zu klingen.
    »Nein«, sagte er. »Wir wissen beide, was du dir wünschst, aber du bist noch nicht so weit.«
    Seit Harry während eines denkwürdigen Campingausflugs einige Jahre zuvor das erste Mal mit mir darüber gesprochen hatte, was ich war, hatten wir mich vorbereitet. Mich, wie Harry sagte, in den Griff bekommen. Als junges, schafsköpfiges Menschenimitat war ich wild darauf, meine glückliche Laufbahn zu beginnen, aber Harry hielt mich zurück, weil Harry immer alles wusste.
    »Ich kann vorsichtig sein«, sagte ich.
    »Aber nicht perfekt«, sagte er. »Es gibt Regeln, Dexter. Sie müssen sein. Sie sind es, die dich von den anderen unterscheiden.«
    »Pass dich an«, sagte ich. »Räum auf, geh kein Risiko ein, äh …«
    Harry schüttelte den Kopf. »Wesentlich wichtiger. Bevor du loslegst, musst du dich vergewissern, dass die Person es wirklich verdient. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich wusste, dass jemand schuldig war, und ihn ziehen lassen musste. Wie der Bastard mich ansah und grinste und ich Bescheid wusste und er Bescheid wusste und ich ihm noch die Tür aufhalten musste, als er ging …« Er knirschte mit den Zähnen und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Das wird dir erspart bleiben. ABER  … aber du musst sicher sein. Todsicher, Dexter. Und selbst, wenn du absolut sicher bist …« Er hielt die Hand hoch, die Handfläche mir zugewandt. »Beschaff dir Beweise. Sie müssen nicht vor Gericht standhalten, Gott sei Dank.« Er lachte kurz und bitter. »Du wirst nie jemanden vor Gericht bringen. Aber du brauchst Beweise, Dexter. Sie sind das Allerwichtigste.« Er klopfte mit den Knöcheln auf den Tisch. »Du musst Beweise haben. Und selbst dann …«
    Er hielt inne, ein für Harry absolut untypisches Zögern, und ich wartete, wusste, dass etwas Kompliziertes folgen würde. »Und manchmal lässt du sie selbst dann entwischen. Gleichgültig, wie sehr sie es verdient haben. Falls sie zum Beispiel zu …
auffällig
sind. Wenn es zu viel Aufmerksamkeit erregen würde, lass es sein.«
     
    Nun, das war es. Wie immer hatte Harry die Antwort. Immer, wenn ich unsicher war, konnte ich Harry in mein Ohr flüstern hören. Ich war sicher, aber ich hatte keine Beweise, dass Doakes etwas anderes war als ein sehr zorniger und misstrauischer Polizist, und das Zerlegen eines Polizisten gehörte mit Sicherheit zu den Dingen, über die sich die Stadt empören würde. Und nach dem erst kürzlich zur Unzeit erfolgten Abgang von Detective LaGuerta würde die Polizeiführung höchstwahrscheinlich ein

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