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Dunkler Dämon

Dunkler Dämon

Titel: Dunkler Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Hotelzimmer, das von einer Rockband besetzt und bis auf Fernseher und Videorekorder geplündert worden war. Vor der Fenstertür zur von Sträuchern überwucherten Terrasse standen ein Stuhl und ein kleiner Tisch. Irgendwo hatte sie noch einen wackligen Klappstuhl ergattert, den sie jetzt für mich an den Tisch zog. Ihre gastfreundliche Geste rührte mich dermaßen, dass ich mein Leben riskierte und mich steif auf das instabile Ding setzte.
    »Nun«, begann ich. »Wie lange ist er schon verschwunden?«
    »Scheiße«, antwortete sie. »Ungefähr dreieinhalb Stunden. Glaube ich.« Sie schüttelte den Kopf und sank in ihrem Stuhl zusammen. »Wir wollten uns hier treffen und – er kam nicht. Ich bin zu seinem Hotel gefahren, aber dort war er nicht.«
    »Besteht die Möglichkeit, dass er einfach irgendwo anders hingefahren ist?«, fragte ich – ich bin nicht stolz darauf, aber ich muss zugeben, ich klang ein wenig hoffnungsvoll.
    Deborah schüttelte den Kopf. »Seine Brieftasche und die Schlüssel lagen noch auf der Kommode. Der Typ hat ihn, Dex. Wir müssen ihn finden, ehe …« Sie biss sich auf die Lippen und wandte den Blick ab.
    Mir war nicht sonderlich klar, was ich tun sollte, um Kyle zu finden. Wie ich schon sagte, hier handelte es sich nicht um die Art Angelegenheit, in die ich im Allgemeinen Einblick besaß, und ich hatte mein Pulver verschossen, als es mir gelang, das Haus zu finden. Aber da Deborah bereits von »wir« sprach, schien es, als bliebe mir keine große Wahl. Familienbande und so. Dennoch versuchte ich mir ein wenig Beinfreiheit zu verschaffen. »Tut mir Leid, wenn das dumm klingt, Deborah, aber hast du es gemeldet?«
    Sie sah auf und knurrte fast. »Ja. Ich habe Captain Matthews angerufen. Er klang erleichtert. Er ermahnte mich, nicht hysterisch zu werden, als wäre ich eine alte Dame mit Zuständen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bat ihn, eine Fahndungsmeldung herauszugeben, und er sagte: ›Nach wem?‹« Sie atmete zischend aus. »Nach wem … Gottverdammt, Dexter, ich hätte ihn erwürgen können, aber …« Sie zuckte die Achseln.
    »Aber er hatte Recht«, sagte ich.
    »Ja. Kyle weiß als Einziger, wie der Typ aussieht«, bestätigte sie. »Wir wissen weder, was für einen Wagen er fährt, noch, wie sein richtiger Name lautet, noch … Scheiße, Dexter. Ich weiß nur, dass er Kyle hat.« Ihr Atem ging rasselnd. »Egal, Matthews hat Kyles Leute in Washington angerufen. Sagt, mehr könne er nicht tun.« Sie schüttelte den Kopf und sah sehr niedergeschlagen aus. »Sie schicken jemanden her. Dienstagmorgen.«
    »Nun dann«, sagte ich hoffnungsfroh. »Ich meine, wir wissen, dass der Typ sehr langsam arbeitet.«
    »Dienstagmorgen«, sagte sie. »Zwei Tage. Womit fängt er wohl an, Dexter? Nimmt er ihm als Erstes ein Bein ab? Oder einen Arm? Wird er beides gleichzeitig entfernen?«
    »Nein«, antwortete ich. »Nacheinander.«
    Sie sah mich scharf an.
    »Na ja, das klingt einfach vernünftig, oder?«
    »Nicht für mich«, erwiderte sie. »Nichts daran ergibt irgendeinen Sinn.«
    »Deborah, dieser Mann steht nicht unter dem
Zwang,
Arme und Beine zu amputieren. Es ist einfach seine
Vorgehensweise.«
    »Gottverdammt, Dexter, red Klartext.«
    »Was er
will,
ist, seine Opfer vollkommen zu zerstören. Sie innerlich und äußerlich zu vernichten, ohne Möglichkeit der Wiederherstellung. Er will sie in tönende Sitzsäcke verwandeln, die niemals mehr etwas anderes empfinden werden als absolutes, endloses, wahnsinniges Grauen. Ihnen Glieder und Lippen zu amputieren ist einfach die Methode, die …«
    »O Jesus, Dexter«, unterbrach mich Deborah. Ihr Gesicht hatte sich verzogen, so hatte ich sie seit dem Tod unserer Mutter nicht mehr gesehen. Sie wandte sich ab, ihre Schultern bebten. Mir war ein wenig unbehaglich. Ich meine, ich habe keine Gefühle, aber ich weiß, dass Deborah welche hat. Doch sie gehört nicht zu den Menschen, die sie zeigen, es sei denn, man zählt Ärger zu den Emotionen. Und nun produzierte sie feuchte, schnüffelnde Geräusche, und ich wusste, dass ich eigentlich ihre Schulter tätscheln und »Na, na« oder etwas ähnlich Menschliches und Tiefgründiges sagen sollte, aber ich konnte mich nicht überwinden. Sie war Debs, meine Schwester. Sie würde wissen, dass ich es nur vortäuschte, und …
    Und was? Mir Arme und Beine abhacken? Das Schlimmste, was sie tun konnte, war, mir zu sagen, dass ich aufhören solle, und sich wieder in Sergeant Sauergesicht zu verwandeln. Und

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