Dunkler Dämon
selbst das wäre eine große Verbesserung gegenüber diesem heulenden Elend. Jedenfalls war dies eine jener Gelegenheiten, bei denen eine menschliche Reaktion gefordert war, und da ich aus meiner langjährigen Beobachtung wusste, was ein Mensch tun würde, tat ich es. Ich stand auf und trat zu ihr hinüber.
Ich legte meinen Arm um ihre Schultern, tätschelte sie und sagte: »Schon gut, Deb. Na, na.« Es klang noch alberner, als ich befürchtet hatte, aber sie lehnte sich an mich und schniefte, deshalb nehme ich an, dass ich das Richtige tat.
»Kann man sich wirklich innerhalb einer Woche in jemanden ver
lieben?«,
fragte sie mich.
»Ich glaube, ich kann es überhaupt nicht«, sagte ich.
»Ich ertrage das nicht, Dexter«, sagte sie. »Falls Kyle getötet wird, oder zu – o Gott, ich weiß nicht, was ich dann machen soll.« Und sie brach wieder zusammen und weinte.
»Na, na«, sagte ich.
Sie schluchzte noch einmal heftig auf, dann nahm sie ein Papiertaschentuch vom Tisch und putzte sich die Nase. »Ich wünschte, du würdest damit aufhören«, sagte sie.
»Tut mir Leid«, erwiderte ich. »Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll.«
»Verrat mir, was der Typ vorhat. Verrat mir, wie ich ihn finden kann.«
Ich setzte mich wieder auf den wackligen kleinen Stuhl. »Ich glaube nicht, dass ich das kann, Debs. Ich habe wirklich kein Gefühl für das, was er tut.«
»Bockmist«, sagte sie.
»Ernsthaft. Ich meine, technisch gesehen hat er noch niemanden umgebracht, weißt du.«
»Dexter«, sagte sie, »du weißt schon jetzt mehr über den Kerl als Kyle, und er weiß, wer er ist. Wir müssen ihn finden. Wir MÜSSEN .« Sie kaute an ihrer Unterlippe, und ich fürchtete, sie würde wieder anfangen zu plärren, denn dann wäre ich völlig hilflos gewesen, weil sie mich schon aufgefordert hatte, nicht mehr »na, na« zu sagen. Aber sie riss sich zusammen wie die zähe Sergeantenschwester, die sie war, und putzte sich nur noch einmal die Nase.
»Ich versuche es ja, Deb. Kann ich davon ausgehen, dass ihr die ganze Basisarbeit erledigt habt? Zeugenvernehmungen und so?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das mussten wir nicht. Kyle wusste …« Sie unterbrach sich bei der Vergangenheitsform und fuhr dann sehr entschlossen fort: »Kyle WEISS , wer es getan hat, und er WEISS , wer der Nächste sein soll.«
»Verzeihung. Er weiß, wer der Nächste sein soll?«
Deborah runzelte die Stirn. »Den Unterton kannst du dir sparen. Kyle hat gesagt, dass vier Männer in Miami leben, die auf der Liste stehen. Einer von ihnen ist verschwunden. Kyle ist davon ausgegangen, dass er geschnappt worden ist, aber das gab uns Zeit, die anderen drei überwachen zu lassen.«
»Wer sind diese vier Männer, Deborah? Und wieso kennt Kyle sie?«
Sie seufzte. »Kyle hat mir keine Namen genannt. Aber sie gehörten alle zu einer Art Team. In El Salvador. Zusammen mit diesem … Doktor Danco. Darum …«
Sie breitete die Arme aus und wirkte hilflos, ein ungewohnter Anblick. Und obgleich es ihr einen gewissen Kleinmädchencharme verlieh, löste es bei mir nur das Gefühl aus, noch mehr ausgenutzt zu werden. Die ganze Welt dreht sich fröhlich weiter, stürzt sich in die schrecklichsten Schwierigkeiten, und dann soll Dexter der Dynamische alles wieder richten. Es schien nicht gerecht, aber was soll man machen?
Um es auf den Punkt zu bringen – was sollte ich jetzt machen? Ich sah keine Möglichkeit, Kyle zu finden, bevor es zu spät war. Und auch wenn ich ziemlich sicher bin, dass ich das nicht laut aussprach, reagierte Deborah, als hätte ich es getan. Sie schlug mit der Hand auf den Tisch und rief: »Wir müssen ihn finden, ehe er sich über Kyle hermacht. Ehe er auch nur ANFÄNGT , Dexter. Weil – ich meine, soll ich hoffen, dass Kyle nur einen Arm verliert, ehe wir ihn finden? Oder ein Bein? Wie auch immer, Kyle ist …« Sie wandte sich ab, ohne den Satz zu beenden, starrte durch die Fenstertür hinter dem kleinen Tisch in die Dunkelheit.
Sie hatte selbstverständlich Recht. Es schien nur äußerst wenig zu geben, das wir tun konnten, um Kyle intakt zurückzubekommen. Denn selbst falls wir alles Glück der Welt hatten, konnte mein sprühender Intellekt uns nicht zu ihm führen, ehe die Arbeit begann. Und dann – wie lange konnte Kyle durchhalten? Vermutlich hatte er einige Übung im Umgang mit solchen Dingen, und er wusste, was ihn erwartete, demnach …
Aber Moment mal. Ich schloss die Augen und versuchte nachzudenken. Dr. Danco
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