Dunkler Fremder
Sie mit einem Messer an.«
Pater Costellos Blick wurde traurig. Seufzend sagte er: »Daran denke ich nicht gern zurück.«
Sie hatten die Sakristei erreicht. Der Pater
drückte Shane auf einen Stuhl. Pater Costellos Soutane hing an
einem Haken hinter der Tür, und in einer Ecke zischte
gedämpft ein Gasofen. Der Geistliche ließ sich an einem
altertümlichen Nußbaumschreibtisch nieder, schloß ein
Schubfach auf und entnahm ihm eine Kognakflasche und ein Glas. Er
schenkte einen kräftigen Schluck in das Glas ein und
lächelte. »Das dürfte Ihnen im Augenblick
guttun.«
Shane würgte, als das scharfe Getränk ihm
durch die Kehle rann. Pater Costello hielt ihm eine Packung Zigaretten
hin und nahm einen Verbandskasten aus einer anderen Schublade.
Shane zündete sich dankbar eine Zigarette an. Der
Priester schob seinen Sessel näher zu Shane heran und betrachtete
prüfend sein Gesicht. Nach einer Weile meinte er besorgt:
»Das müßte wirklich von einem Arzt behandelt
werden.«
Shane schüttelte abwehrend den Kopf. »Heute
nicht mehr, Pater. Es gibt Wichtigeres, was ich erledigen
muß.«
Pater Costello seufzte und begann Shanes Gesicht
geschickt mit einem in antiseptische Flüssigkeit getauchten
Wattebausch zu reinigen. Als er die Verletzungen notdürftig mit
Pflaster versorgt hatte, sagte er ruhig: »Man hat Sie ziemlich
schlimm zugerichtet. Wer es auch gewesen sein mag, er hat
gründliche Arbeit geleistet.«
Shane zog die Ärmel seines Jacketts hoch und
deutete auf die Stahlringe der Handschellen, die seine Gelenke
umschlossen. »Es war ein Polizist, Pater«, sagte er.
»Und wenn die richtig zur Sache gehen, dann wird's das
Übelste, was es gibt.«
Shane stand auf und dehnte sich behutsam. Sein ganzer
Körper schmerzte, und die Nieren schienen angeschwollen, doch
soweit er es beurteilen konnte, waren keine Knochen gebro chen. Er
betrachtete sein Gesicht im Spiegel und wandte sich mit einem schiefen
Grinsen ab. »Ich bin nicht sicher, ob ich jetzt nach Ihrer
Behandlung nicht noch schlimmer aussehe.«
Pater Costello lächelte flüchtig und griff nach der Flasche. »Noch einen Schluck?«
Shane schüttelte ablehnend den Kopf und ging zur
Tür. »Nein danke, Pater. Ich habe nicht viel Zeit.«
Er streckte schon die Hand nach der Klinke aus, als
Pater Costello ruhig sagte: »Meinen Sie nicht, daß Sie sich
mir offenbaren sollten, Martin Shane?«
Einen schier endlos langen Augenblick verharrte Shane
bewegungslos, dann wandte er sich zögernd um. »Sie kennen
mich?«
Pater Costello nickte. »Ihr Bild war heute in
allen Zeitungen, und im Radio wurde eine Meldung über Ihre Flucht
durchgegeben.« Er nahm eine Zigarette aus der Packung und
zündete sie bedächtig an. »Wissen Sie, es ist vielfach
hilfreich, sich einem Fremden gegenüber auszusprechen. Manchmal
gelingt es dann, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen.«
Shane tat einen Schritt auf den Priester zu und sagte
gepreßt: »Diese Stadt quillt über vor Bullen, und alle
suchen sie mich. Sie wissen sicher auch, was ich angeblich getan haben
soll?«
Pater Costello nickte ernst. »Es wird behauptet,
Sie hätten einen besonders grausamen Mord begangen.«
Shane ließ sich wieder auf den Stuhl sinken und
griff nach einer weiteren Zigarette. »Sie behaupten auch, ich sei
geisteskrank, und ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob das nicht
sogar stimmt. Entsetzt Sie das nicht?«
Der Priester hielt ihm mit ruhiger Hand ein brennendes
Streichholz hin und schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht
gerade behaupten. Aber vielleicht sind Sie selbst der einzige
Mensch, dem Sie wirklich Angst einjagen.«
Shane blickte in die freundlichen grauen Augen des
Paters, versuchte darin zu erkennen, was auf ihn zukommen würde,
und dann brachen die Ängste, die Verzweiflung der vergangenen Tage
über ihm zusammen, und er wußte, daß er nur den einen
Wunsch hatte, sich selbst und alles diesem Mann anzuvertrauen.
Zögernd erwiderte er: »Vielleicht
würde es mir helfen, wenn ich Ihnen alles von Anfang an berichte.
Vielleicht würde ich einen Hoffnungsschimmer entdecken oder eine
Erklärung finden für das, was geschehen ist.«
Pater Costello lehnte sich in seinem Sessel
zurück und lächelte mild. »Einen Teil Ihrer Geschichte
kenne ich aus den Zeitungsberichten, aber vielleicht wäre es
ratsam, wenn Sie mir zunächst einmal erzählten, warum Sie
überhaupt nach Burnham gekommen
Weitere Kostenlose Bücher