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Dunkler Fremder

Dunkler Fremder

Titel: Dunkler Fremder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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über. Dann trat er vor den Garderobenspiegel und musterte
besorgt sein Spiegelbild. Ein kräftiger Hals erhob sich über
breiten Schultern, seine Gesichtsfarbe war blaß, und die Haut
spannte sich zu straff über die vortretenden Backenknochen. Die
Augen waren schwarz und ausdruckslos, dunkle Teiche, die zu tief in
ihren Höhlen lagen. Von der rechten Augenbraue zog sich eine
gezackte rote Narbe wie eine Trennungslinie über die hohe Stirn
und verlor sich in dem schwarzen Haar.
      Er folgte dem Verlauf der Narbe behutsam mit einer
Fingerspitze, aber der Schmerz blieb aus, und er seufzte erleichtert
auf und zog sich um. Als er schon seinen Trenchcoat übergeworfen
hatte, holte er das Wasserglas aus dem Bad und schenkte sich noch einen
Schluck Whisky ein.
      Während er trank, ruhte sein Blick auf seiner
Reisetasche. Ganz so, als sei er zu einem Entschluß gekommen,
leerte er mit einem Schluck das Glas, wühlte auf dem Grund seiner
Reisetasche und nahm eine Pistole von Luger heraus. Er
überprüfte die Kammer, schob die Waffe mit einer
entschlossenen Bewegung in die Innentasche seines Jacketts,
verließ das Zimmer und schloß die Tür hinter sich ab.
      Mit schnellen Schritten durchquerte er das
Stadtzentrum, den Hut gegen den strömenden Regen tief über
die Augen in die Stirn gezogen, die Hände in den Manteltaschen
vergraben. Es war lange her, seit er das letzte Mal in der Stadt
gewesen war, und er brauchte fast eine Stunde, um das zu finden, wonach
er suchte. Es war eine kleine Bar in einer Nebenstraße, nicht
weit von der Universität entfernt. Als er dort eintraf, fand er
das Lokal, abgesehen von dem alten weißhaarigen Barmann, der ein
Glas polierte und Radio hörte, verlassen vor.
      Shane blieb an der Tür stehen und ließ
seinen Blick über die altmodischen Nischen und die
ledergepolsterten Hocker vor der Bartheke mit ihrer Marmorplatte
wandern. Nichts hatte sich verändert. Er bestellte ein Bier und
setzte sich auf einen Hokker am hinteren Ende der Bar, starrte sein
Spiegelbild in dem goldgerahmten Spiegel an der Wand hinter der Bar an,
und er erinnerte sich an die Zeit vor acht Jahren. Damals, an jenem
Montag nach dem Ausbruch des Koreakrieges, hatte er auf dem gleichen
Hocker gesessen und dem Rundfunkaufruf gelauscht, sich freiwillig zum
Militär zu melden.
      Die Tür hinter ihm ging auf, und erschrocken fuhr
er herum, als ob er erwartete, ein Gespenst aus der toten Vergangenheit
zu sehen. Es war ein kleinwüchsiger Mann in einem nassen
Regenmantel und mit einer Tuchmütze, der auf das Wetter schimpfte
und bei dem Barmann einen Drink bestellte. Sie begannen ein belangloses
Gespräch. Shane nahm sein Bier, stand auf und ging zur
Telefonkabine im Hintergrund der Bar hinüber und schloß die
Tür hinter sich.
      Er zündete sich eine Zigarette an und zog ein
kleines Notizbuch mit Namen und Adressen aus der Tasche. Da stand als
erstes die Adresse eines Mannes namens Henry Faulkner. Shane
blätterte im Telefonbuch und nach kurzem Suchen grunzte er
zufrieden und verglich die angegebene Adresse mit der in seinem
Notizbuch. Gleich darauf wählte er die Nummer.
      In der Stille der Telefonzelle klang das Rufzeichen am
anderen Ende der Leitung wie aus einer anderen Welt. Mit den
Fingerspitzen trommelte er lautlos an der Wand, hängte nach einer
Weile vergeblichen Wartens den Hörer wieder ein und wählte
dann die Nummer noch einmal. Wieder meldete sich niemand, und nach
einem dritten erfolglosen Versuch nahm er sein Bierglas und kehrte in
die Bar zurück.
      Der Barmann und der andere Gast waren mittlerweile
über das voraussichtliche Ergebnis eines lokalen
Fußballspiels am kommenden Samstag in Streit geraten, Shane stand
ruhig am hinteren Ende der Bar, trank sein Bier und dachte nach.
Plötzlich fühlte er sich von dem Lokal angewidert und
abgestoßen. Es lohnte sich nie, an irgendeinen Ort der
Vergangenheit zurückzukehren. Es war dumm von ihm gewesen, hierher
zu gehen. Rasch leerte er sein Glas, zahlte und ging.
      Draußen hatte der Regen nicht nachgelassen. Er
ging zum Zentrum der Stadt zurück, bis er einen Taxistand
erreichte. Er nannte dem Fahrer Faulkners Adresse und stieg ein.
      Eine Zeitlang fuhr das Taxi durch ein schmutziges
Industrierevier mit Fabriken, dazwischengeklemmten tristen Mietblocks
und bog dann in eine Straße ein, die sich gesäumt von
Bäumen in Serpentinen bergauf wand, mit jeder Biegung höher
stieg, bis sich trotz des Regens ein Ausblick auf die Stadt

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