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Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Titel: Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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gibt’s?« fragte er. »Ist mein Vater draußen?«
    Ich saß allein in meinem Büro, hatte die Jalousien heruntergezogen und versuchte nachzudenken. Ständig hatte ich Garland T. Moon vor Augen, sein breites Grinsen, die straffe Haut, die leuchtendblauen Augen; ich roch förmlich seinen Atem, den süßlichen Duft nach gegorenen Pflaumen. Ich zog die Jalousien auf und ließ die Sonne herein.
    Die Gegensprechanlage summte.
    »Mister Vanzandt und sein Sohn möchten Sie sprechen, Billy Bob«, sagte meine Sekretärin.
    Jack Vanzandt war einst ein Baseballstar auf dem College gewesen, hatte danach in Vietnam gekämpft und war hochdekoriert zurückgekehrt, hatte viel Geld mit mexikanischem Öl verdient, alles wieder verloren und es dann mit Computern erneut zu einem Vermögen gebracht. Er hatte gestern angerufen – oder war es schon vorgestern gewesen? Genau, wegen seinem Sohn, der von der Texas A&M geflogen war, der technischen und naturwissenschaftlichen Universität in College Station.
    »Haben wir einen schlechten Tag erwischt?« fragte Jack.
    »Tut mir leid. Ich steh heut morgen ein bißchen neben mir«, sagte ich.
    Jack ging immer noch tüchtig stemmen, trainierte regelmäßig am Sandsack und spielte nach wie vor Polo in einem Club in Dallas. Er wußte sich zu benehmen, war intelligent und kehrte nie den großen Kriegshelden heraus. Es gab kaum einen, der ihn nicht mochte.
    Ganz anders der Sohn, ein blonder Junge mit grünen Augen, dessen Gesicht stets leicht gerötet war, der überdreht und verdruckst wirkte, so als sei er in Gedanken ganz woanders.
    »Darl hat sich mit einem Mexikanerjungen geprügelt. Wir wollten die Sache im guten beilegen, aber anscheinend haben die Angehörigen festgestellt, daß bei uns ein bißchen Geld zu holen ist«, sagte Jack.
    »Was sagen Sie dazu, Darl?« fragte ich.
    »Wir sind bei dem Baseballspiel gewesen. Auf einmal zerkratzt mir ein Typ mit nem Nagel die ganze Haube. Ich hab ihn gefragt, was das soll. Wegen der Anfeuerungsrufe droben auf der Tribüne, hat er gesagt. Und ich hab ihm erklärt, daß wir in einem freien Land leben, in dem jeder sagen kann, was er will. Wenn das nem Mexen nicht paßt, kann er ja wieder rübermachen.«
    »Was für Anfeuerungsrufe?« fragte ich.
    »Taugt nix, kann nix, is nich besser, das gilt für jeden Pfefferfresser.« Er grinste vor sich hin und rieb sich den muskelbepackten Unterarm.
    Ich schaute zu seinem Vater.
    »Der Mexikanerjunge mußte sich den Unterkiefer wieder zusammenflicken lassen«, sagte Jack.
    Ich holte einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus meiner Schreibtischschublade und legte die Sachen vor Darl hin.
    »Schreib alles auf, was vorgefallen ist. So als ob du einen Schulaufsatz verfaßt«, sagte ich.
    »Ich hab Ihnen doch schon gesagt, was passiert is«, erwiderte er.
    »Darl leidet unter Dyslexie«, sagte Jack.
    »Aha«, sagte ich. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich melde mich heute nachmittag bei euch. Tut mir leid, aber ich bin heute morgen nicht ganz bei mir.«
    Darl Vanzandt spielte mit dem Schulring herum, den er am Finger trug. Er wirkte in sich versunken, so als amüsiere er sich insgeheim. Dann schaute er mich mit einemmal an und sagte: »Mein Vater glaubt, daß Lucas Smothers von Ihnen stammt.«
    »Geh zum Auto, Darl«, sagte Jack.
    Als Darl weg war, bot mir sein Vater die Hand.
    »Ich bitte um Entschuldigung. Darl ist psychisch schwer gestört. Seine Mutter... äh ... er leidet unter einer pränatalen Alkoholschädigung. Manchmal muß man ihm das eine oder andere nachsehen«, sagte Jack.
    »Nicht der Rede wert«, sagte ich.
    »Besten Dank, daß Sie uns beistehen, Billy Bob.«
    Er drückte mir erneut die Hand, lang und anhaltend, feucht und warm. Als er weg war und ich wieder allein in meinem Büro saß, ertappte ich mich dabei, wie ich mir unwillkürlich die Hände an den Hosenbeinen abwischte.
    Warum? dachte ich.
    Weil an Darl Vanzandts Ringfinger eine Wunde gewesen war, ein frischer Riß, der durchaus von einem Zahn stammen konnte.
    Nein, sagte ich mir, du läßt dich da zu etwas hinreißen.
    In dieser Nacht tobte draußen ein Gewitter. L. Q. Navarro stand mitten in meinem Wohnzimmer und hatte den aschgrauen Stetson nach hinten geschoben. »Du bist ein erstklassiger Ordnungshüter gewesen, genausogut wie ich, Mann. Wenn jemand arm ist und sich nicht wehren kann, so wie Lucas und das tote Mädchen, und andre Leute sich einmischen, dann muß dir klar sein, daß es um mehr geht, als die dir weismachen

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