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Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Titel: Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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darauf?«
    »Weil Davis Love immer gesagt hat, wenn es mal dazu kommt, dann so«, meinte sie. (Davis Love war der Vor- und der Familienname ihres Gatten, und so hatte sie ihn immer angeredet.) »Er hat gesagt, wenn ihn mal jemand umbringt, dann ist es vermutlich ein Verrückter, weil keiner von denen, die er ins Gefängnis gebracht hat, ihn je wieder sehen will.«
    Sie schaute mich unverhohlen und mit stechendem Blick an, damit ich auch bestimmt kapierte, was sie meinte.
    »Hat er ihnen Dampf gemacht?« fragte ich.
    »Sie haben sich lieber verzogen.«
    Ich schaute aus dem Küchenfenster auf das sanft gewellte Weideland hinter dem Haus, die rot-weiß gestrichene Scheune, den vier Hektar großen Weiher voller fetter Barsche, auf die Araberpferde des Sheriffs, deren Umrisse grau und fließend wirkten, so als seien sie aus Speckstein geschnitzt.
    »Mein herzliches Beileid«, sagte ich.
    »Auch wenn man sich vielleicht den Mund über ihn zerrissen hat: Er hat sich vom Aufseher über Sträflingsbautrupps bis zum Sheriff hochgearbeitet, ohne daß ihm jemand dabei geholfen hat.«
    Ich nickte, während sich meine Gedanken überschlugen, als mir mit einemmal wieder einfiel, was der Sheriff früher gemacht hatte.
    »Er war ein außergewöhnlicher Mensch«, sagte ich.
    Sie lächelte leicht, beinahe verkniffen, insgeheim aber auch voller Triumph darüber, daß sie mir dieses Eingeständnis abgerungen hatte. Dann sah ich es in ihren Augen: Sie verklärte ihn bereits, schrieb ihm Qualitäten zu, die er nie besessen hatte, denn für sie gehörte er schon der Vergangenheit an, und sie führte jetzt ein neues Leben als Witwe und Nachlaßverwalterin zugleich.
    Ich hatte schlichtweg vergessen, daß der Sheriff nicht als kleiner Polizist, sondern als Aufseher eines Sträflingsbautrupps angefangen hatte – seinerzeit, als die Häftlinge aus dem Bezirksgefängnis Gräben und Abwasserschächte ausheben und Straßen teeren mußten. Ich kann mich noch daran erinnern, daß ich sie als kleiner Junge gesehen habe, mit gebeugtem Rücken, die Haut braungebrannt wie Kautabak, wie sie mit ihren Pickeln den Straßengraben umhackten, während die Wachmänner über ihnen standen und ihre mit einer eisernen Spitze versehenen Gehstöcke schwangen.
    Moon war einer dieser Häftlinge gewesen.
    Mit fünfzehn Jahren regelmäßig von zwei Wärtern im Bezirksgefängnis geschändet.
    Wie waren seine Worte gewesen? Die haben mir das Innerste nach außen gekehrt und sich dabei krankgelacht... Mich werdet ihr erst wieder los, wenn ihr kapiert habt, daß ihr euren eigenen Mist auskehren müßt.
    War die gräßliche Blutspur draußen im Blockhaus etwa nur ein Vorgeschmack auf die Lektion, die uns Garland T. Moon erteilen wollte?
    An diesem Abend rief ich bei Mary Beth an, erreichte aber nur den Anrufbeantworter.
    »Billy Bob hier. Ich wollte dich später zum Essen einladen –«, sagte ich, ehe sie den Hörer abnehmen konnte.
    »Hi«, sagte sie.
    »Bist du beim Secret Service?«
    »Nein!«
    »Ich bin heute morgen mit diesem Brian Wilcox zusammengerasselt. Was hat die Steuerfahndung mit dem Mord am Sheriff zu schaffen?«
    »Frag Brian Wilcox.«
    »Komm schon, Mary Beth.«
    »Ich möchte nicht über ihn sprechen.«
    Vom Fenster der Bibliothek aus sah ich, wie der Mond über den Hügeln aufging.
    »Was ist mit dem Abendessen?« fragte ich.
    »Das läßt sich machen.«
    »Ich bin in ein paar Minuten da.«
    »Nein, ich komme hin.«
    »Stimmt was nicht?«
    »Brian beobachtet manchmal das Haus. Er spinnt ...« Ehe ich etwas erwidern konnte, fügte sie hinzu: »Ich kümmere mich drum. Leg dich nicht mit ihm an ... Bis gleich.«
    An diesem Abend ging ein kühler Wind, und die Wolken am Himmel wirkten wie aus Silber getrieben. Ich hörte, wie kleine Regentropfen auf das Dach und die Elefantenohren unter dem Fenster der Bibliothek fielen; der Frühling was dieses Jahr ungewöhnlich feucht. Ich ging hinaus zur Pferdekoppel und ließ Beau Melassekugeln aus der Hand fressen. Wenn er eine zerkaut hatte, senkte er den Kopf, schnupperte an der Brusttasche und an meinem Gesicht herum, bis ich ihm die nächste gab, die er wieder zwischen den Zähnen zermahlte, als wär’s eine trockene Karotte. Ich streichelte seine Ohren, kraulte ihm die Mähne und betastete die trocknenen Wundränder an seinem Widerrist, dachte dabei über all die Scherereien nach, die ich mir eingehandelt hatte, seit ich Lucas Smothers verteidigte, und fragte mich, wer sich auf meinen Grund und Boden geschlichen

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