Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)
Geschworenenbank ein, daß ihm das Wasser im Arsch kocht.«
Eine Frau, die vorn am Ladentisch gerade beim Bezahlen war, drehte sich mit offenem Mund um.
»Richten Sie es Jack aus.«
Ich verließ den Laden. Dann hörte ich sie hinter mir. In der Sonne wirkte ihr Make-up wie eine rosigweiße Maske, die sie über das Gesicht gezogen hatte. Sie hatte die Haare straff nach hinten gerafft, und ihre Augen funkelten, sei es aus Wut, wegen der Aufputschpillen – oder was immer es auch sein mochte, das sie umtrieb.
»Sie sind ein Dummkopf«, sagte sie.
»Warum?«
Sie hatte die dick geschminkten Lippen leicht geöffnet und schaute mich einen Moment lang an, als wolle sie mir etwas sagen, mich auf ewig zu ihrem Mitverschworenen machen, zum Mitwisser eines Geheimnisses, in das sie bislang niemanden eingeweiht hatte.
»Bunny Vogel«, sagte sie.
»Was?«
Im nächsten Moment war alles wieder vorbei.
»Ich wünschte, ich wäre ein Mann. Ich würde Sie so verprügeln, daß Sie nicht mehr wissen, wo oben und unten ist. Ich hasse Sie von ganzem Herzen, Billy Bob«, sagte sie.
Mein Vater hatte dreißig Jahre Pipelinerohre zusammengeschweißt und repariert, aber er hatte immer im Auftrag der gleichen Firma gearbeitet, einem Unternehmen in Houston, das für den ganzen Staat zuständig war. Ich rief in der Verwaltung an und fragte die zuständige Frau in der Lohnbuchhaltung, ob sich anhand der Gehaltsunterlagen feststellen ließe, daß mein Vater Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre in der Gegend von Waco gearbeitet habe.
»Meine Güte, das ist lange her«, sagte sie.
»Es ist wirklich wichtig«, erwiderte ich.
»Viele unserer alten Unterlagen sind mittlerweile per Computer erfaßt, aber Personalakten über Angestellte, die vor fünfzig Jahren bei uns waren, das ist was ganz anderes –«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das Unternehmen muß natürlich wissen, wann und wo es welche Rohre verlegt hat. Aber in den dreißiger Jahren wurden allerhand Leute tageweise eingestellt und bar ausbezahlt. Arbeitslose Jugendliche, Tippelbrüder, es war ein ständiges Kommen und Gehen.«
Und die Firma mußte weder Sozialabgaben noch Gewerkschaftsbeiträge abführen, dachte ich.
»Können Sie feststellen, ob Ihre Firma etwa um das Jahr 1940 in der Nähe von Waco eine Pipeline gebaut hat?« fragte ich.
»Das dürfte weitaus leichter sein. Kann ich Sie zurückrufen, wenn ich etwas mehr Zeit habe?« erwiderte sie.
Ich gab ihr die Nummer meiner Kanzlei und fuhr über Mittag nach Hause. Das Licht an meinem Anrufbeantworter in der Bibliothek blinkte. Ich drückte auf die Wiedergabetaste und versuchte meine Erregung zu unterdrücken.
»Ich bin’s, Billy Bob. Tut mir leid, daß ich so sang- und klanglos abgereist bin. Eigentlich sollte ich dich nicht mal anrufen. Ich versuch’s später noch mal«, ertönte Mary Beths Stimme.
Danach kam die Zeitansage. Ich hatte sie um eine Viertelstunde verpaßt.
Ich bereitete mir ein Sandwich und etwas Kartoffelsalat zu und setzte mich mit einem Glas Eistee auf die hintere Veranda. Schatten fielen auf die Felder, die Luft war warm und schmeckte nach Regen, und ich konnte die Kühe riechen, die bei der Windmühle meines Nachbarn zur Tränke gingen. Auf der andern Seite des Weihers, hinter den Weiden, die sich im Wind wiegten, dort, wo einst der Chisholm Trail über das Anwesen meiner Familie geführt hatte, waren die Wagenspuren und Hufabdrücke, die sich tief in die ausgedörrte Erde gegraben hatten. Manchmal glaubte ich, daß Urgroßpapa Sam immer noch irgendwo da draußen war, mit seinen Chaps und dem Schlapphut, ein Halstuch gegen den Staub ums Gesicht gebunden, und seine Rinder vom Flußufer fernzuhalten versuchte, wenn der Blitz sie scheu machte und sie lauter als jeder Donnerhall über die Prärie preschten.
Ich wünschte, ich hätte damals gelebt, zu einer Zeit, als man Männer wie Garland T. Moon kurzerhand am nächsten Baum aufknüpfte, als es noch keine Bundespolizisten gab, in die man sich verliebte und die sich dann ohne jede Erklärung um vier Uhr morgens mit einem Flugzeug absetzten.
Ich wußte, daß ich mich in Selbstmitleid erging, aber es war mir egal. Ich ging in die Bibliothek, nahm Urgroßpapa Sams Tagebuch und las darin, während ich mein Abendbrot aß.
28. August 1891
Vielleicht hätte ich die vier Höhlen lieber nicht ausräuchern sollen. Jetzt, da die Bande von Pearl Youngers Freudenhaus zurückgekehrt ist, meinen die Dalton-Brüder anscheinend, sie müßten
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