Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)
eine Klaue gekrümmte rechte Hand hin.
»Gib sie mir!« sagte er.
Mary Beth stieß Vernon Smothers weg.
»Runter mit euch, Gesicht auf den Boden! Macht schon, alle beide, sofort!« sagte sie zu Sammy und dem Mann mit dem Pferdeschwanz.
Dann sah sie, wie Sammy auf seinen Freund zustürzte und eine 25er Automatik aus dem kleinen Holster unter dessen Jacke ziehen wollte. Wieder schlug sie mit dem Stock zu, traf Sammy diesmal seitlich am Gesicht und zertrümmerte ihm den Unterkiefer. Er verharrte wie angewurzelt, schräg vornübergebeugt, und aus seinem Mund quoll scharlachrotes Blut. Seine zerbrochene Brille lag im Gras.
Sammy sank auf die Knie, griff dann nach ihren Beinen und der Neun-Millimeter in ihrem Hüftholster, während der Mann mit dem Pferdeschwanz sie erst wegstieß und dann wie betäubt zusah, als seine 25er Automatik aus dem Holster fiel und in Sammys Schoß landete.
Der Mann mit dem Pferdeschwanz versuchte sich loszureißen, zurückzuweichen, während Sammy ohnmächtig am Abzug der Automatik riß und verzweifelt mit der Sicherung kämpfte.
Mary Beth nahm ihre Neun-Millimeter mit beiden Händen und legte auf Sammy Mace an, schoß aber beim erstenmal etwas zu hoch und traf den Mann mit dem Pferdeschwanz in den Unterleib. Er torkelte zurück, riß den Kopf hoch und griff sich mit beiden Händen in den Schritt.
Die zweite Kugel drang in Sammys Auge ein und riß ihm den halben Hinterkopf weg.
Mit einemmal herrschte ringsum Totenstille. Nur die amerikanische Flagge auf dem Pavillon knatterte im Wind.
25
Es war heiß in dieser Nacht, und auch am Morgen war die Luft stickig wie in einer Backstube. Ich holte mir eine Handvoll Melassekugeln aus der Sattelkammer, gab sie Beau in der Koppel zu fressen, ging dann hinunter zum Fluß und sah zu, wie der Himmel heller wurde. Das Wasser war dunkelgrün und schäumte um die abgestorbenen Seidenholzbäume, die sich am Ufer verheddert hatten, und zwischen den von der Strömung unterspülten Stämmen hörte ich die Brassen springen.
Ich versuchte vergeblich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich war gestern bis elf Uhr nachts bei Mary Beth gewesen. Der Mann mit dem Pferdeschwanz hatte noch drei Stunden gelebt und war auf dem Operationstisch gestorben. Er hieß Sixto Dominique, war nur einmal wegen Erpressung vorbestraft und vom Gouverneur von Florida begnadigt worden. Seine Brieftasche enthielt unter anderem einen Waffenschein für die 25er Automatik.
»Die haben gedacht, sie könnten die Sau rauslassen«, sagte ich zu ihr. »Sie haben es verdient.«
»Ich hätte mir Vernon Smothers greifen, ihn zum Streifenwagen bringen und Verstärkung anfordern sollen«, sagte sie.
»Hör mal zu, Mary Beth, du bist Polizistin. Wenn ein Penner handgreiflich gegen dich wird, wenn du im Dienst bist, drischst du gegen den härtesten Gegenstand weit und breit.«
»Ich hab’s verpatzt.«
Ich bot ihr an, bei ihr zu bleiben.
»Besten Dank. Aber ich muß heute nacht ein paar wichtige Telefongespräche führen«, sagte sie. Ihr Gesicht war bleich wie ein Wachstuch, und die Sommersprossen wirkten im hellen Licht in ihrer Wohnung geradezu unnatürlich, wie aufgemalt.
»Rühr weder Kaffee noch Alkohol an«, sagte ich. »Und laß dich nicht auf die Gedanken ein, die dir mitten in der Nacht durch den Kopf gehen.«
»Ist es dir genauso gegangen?«
»Ja, beim ersten Mal schon.«
»Beim ersten Mal?« sagte sie.
Ich wandte mich ab, damit sie nicht sah, wie ich schlucken mußte.
Jetzt, am nächsten Tag, hockte ich da, hatte die Stiefelabsätze ins Gras gegraben und ließ Kieselsteine über das Wasser hüpfen, über das versunkene Auto hinweg, in dem einst zwei Mitglieder der Karpis-Barker-Gang gestorben waren, an deren Namen sich keiner mehr erinnern konnte, die irgendwo auf einem Armsünderfriedhof begraben waren – Männer, die gemeint hatten, sie könnten sich mit einem flammenden Fanal für alle Ewigkeiten ein Denkmal setzen.
Aber was beschäftigte mich daran so? Was verbarg sich dahinter?
Ich kannte die Antwort, konnte mich aber nicht so leicht damit abfinden.
Ich hatte mein ganzes Leben mit Halbheiten zugebracht. Ich war Streifenpolizist gewesen, Texas Ranger, Bundesanwalt, und jetzt war ich Straf Verteidiger in einer Kleinstadt, aber ich vertrat keine Drogendealer und kam mir dabei erhaben vor, besser als die anderen Anwälte, die sich keine solchen Einschränkungen auferlegten. Ich hatte weder Frau noch Kinder, hatte mich damit abgefunden, daß gewisse Lebensabschnitte
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