Dunkler Wahn
Handy eingespeichert, deshalb musste er die Nummer eintippen. Nachdem er beinahe mit einem abbiegenden Ford kollidiert wäre, meldete sich endlich das Revier.
»Jan Forstner! Ich muss sofort Hauptkommissar Stark sprechen.«
Jan riss das Steuer herum und schoss an zwei Jugendlichen vorbei, die mit ihren Motorrollern fast die gesamte Fahrspur blockierten. Kurz vor einem entgegenkommenden Mercedes, der ihm nervös die Lichthupe gab, scherte er wieder ein.
»Tut mir leid«, dröhnte die Stimme eines Polizisten aus dem Hörer, »der Hauptkommissar ist zu einem Einsatz unterwegs. Kann ich Ihnen helfen?«
Fast zu spät erkannte Jan den Stau vor sich und trat auf die Bremse. Wenige Zentimeter hinter einem Lieferwagen kam er zum Stehen. Das war knapp gewesen.
»Was für ein Einsatz?«
»Dr. Forstner, ich muss die Leitung freihalten«, fuhr ihn der Polizist ungeduldig an. »Worum geht es denn?«
Jan wollte gerade antworten, als er die Rauchfahne neben dem Kirchturm aufsteigen sah. Irgendwo in seiner Nähe hörte er das Heulen von Feuerwehrsirenen. Schlagartig verstand er den Grund für den Verkehrsstau.
66
In dem kleinen Stadtführer für Touristen, der kostenfrei in allen Geschäften auslag, wurde das historische Pfarrhaus als eine der besonderen Sehenswürdigkeiten Fahlenbergs hervorgehoben. Das Fachwerkgebäude war 1736 erbaut worden, und nun, zweihundertfünfundsiebzig Jahre später, machten die Flammen ein bedeutendes Stück Stadtgeschichte binnen kürzester Zeit zunichte. Das erst vor wenigen Jahren restaurierte Schindeldach brannte wie Zunder. Der Regen hatte das Feuer nicht eindämmen können, sondern verursachte nur eine gewaltige Wolke weißen Qualms, die das gesamte Obergeschoss umhüllte.
Hauptkommissar Stark eilte an den Feuerwehrmännern vorbei, die einen verzweifelten Kampf gegen die Flammen fochten. Sie mussten verhindern, dass der Brand auf die umliegenden Gebäude übergriff.
»Halt, warten Sie!«, rief er einem Sanitäter zu, der gerade im Begriff war, die Hintertür des Rettungswagens zu schließen. »Ist Frau Badtke da drin?«
»Ja, warum?«
»Ich muss mit ihr reden.«
»Das geht nicht«, protestierte der Sanitäter. »Die Frau steht unter Schock.«
»Nur kurz«, sagte Stark und schob sich an ihm vorbei. »Es ist dringend.«
»Dafür übernehmen Sie aber die Verantwortung«, rief der Sanitäter gegen den allgemeinen Lärm an, während Stark in den Wagen stieg.
Mit ausdruckslosem Gesicht lag Edith Badtke auf der Trage. Sie war in eine Rettungsdecke eingewickelt, auf deren Goldbeschichtung sich das Flackern der Blaulichter widerspiegelte.
»Frau Badtke, ich bin Hauptkommissar Stark«, stellte er sich vor und ergriff ihre Hand. Als sie seine Gegenwart wahrnahm, sah sie ihn an, und die Ausdruckslosigkeit in ihren Augen wich blankem Entsetzen.
»Es … war mein Fehler«, stammelte sie, und Tränen rannen über ihr faltiges Gesicht. »Ich hätte ihm helfen können, aber ich war zu feige.«
»Ich weiß, das ist jetzt nicht leicht für Sie«, entgegnete Stark, »aber Sie müssen mir sagen, was geschehen ist.«
Edith Badtke blinzelte gegen ihre Tränen an und schluckte. »Ein Streit«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Jemand war bei ihm. Eine Frau. Sie haben gestritten und sich angeschrien.«
»Haben Sie die Frau gesehen?«, fragte er. »Haben Sie sie erkannt ?«
Ein erschöpftes Kopfschütteln. »Nein, ich habe sie nur gehört. Ich war unterwegs und habe ein paar Dinge für den Herrn Pfarrer erledigt, weil es ihm doch nicht gutging. Als ich zurückkam, war sie schon da. Sie waren im ersten Stock in seinem Arbeitszimmer. Und vor der Tür … da stand …« Sie presste die Augen zusammen und atmete hektisch.
»Ganz ruhig, es ist ja vorbei«, sagte Stark und spürte, wie sich ihre Hand noch fester um die seine schloss. »Wer stand vor der Tür?«
»Jemand hatte die Tür eingetreten«, flüsterte sie mit angstgeweiteten Augen. »Die Tür war zersplittert, und ich…O Gott, ich habe die beiden da drinnen schreien hören und bin sofort wieder nach unten gelaufen. Was hätte ich auch tun sollen? Ich bin doch nur eine alte Frau.«
»Das war vollkommen in Ordnung«, versicherte ihr Stark. »Niemand macht Ihnen deswegen einen Vorwurf.«
»Doch«, stieß sie aus. »Ich! Ich mache mir deswegen
Vorwürfe. Sie hat es getan, während ich bei Ihnen angerufen habe. Ich hörte den Herrn Pfarrer schreien, und gleich darauf war es so still. So schrecklich still. Ich stand im Wohnzimmer und hielt nur das
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