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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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Lesereise, die sie hatte nutzen wollen, um sich über ihre Beziehung klarzuwerden.
    Andererseits war da die Erinnerung an ihre letzte Begegnung. Die beklemmende Stille im Krankenzimmer, Carlas leerer Blick aus dem Fenster und ihr zusammengekauerter Körper auf dem Bett, als sie schließlich die Decke über sich gezogen hatte. Das hatte ihm Angst gemacht.
    Die menschliche Seele lebt im Verborgenen, und wenn sie zerbricht, geschieht das lautlos. Es gibt kein Krachen und Klirren wie bei Porzellan oder Glas. Erst wenn es bereits zu spät ist, sieht man die Scherben. Deshalb wusste Jan, dass er sich auf alles gefasst machen musste.
    Erschöpft ließ er sich auf sein Sofa sinken. Die letzten Tage hatten ihn sämtlicher Energien beraubt. Er kam sich vor wie um Jahre gealtert. Am schlimmsten war das ewige Warten gewesen, und auch jetzt wartete er wieder: auf eine Nachricht von Carla, auf Janas nächsten Schritt und vor allem auf die Ergreifung dieser Verrückten.
    Er hasste es zu warten. Wer wartete, war anderen hilflos ausgeliefert. Man war passiv, handlungsunfähig, konnte nur reagieren. Und genau das war für ihn die schlimmste Erfahrung, seit Jana in sein Leben getreten war. Jana hatte die Kontrolle an sich gerissen. Sie allein steuerte das Geschehen. She’s the boss , wie es auf einem alten Mick-Jagger-Album in seiner Vinylsammlung hieß. Und sie war der Boss, weil sie verrückt war – weil nicht abzuschätzen war, was sie als Nächstes unternehmen würde. Sie war unberechenbar, und sie war – um es mit den Worten von Agnes Nowak zu sagen – wie ein Geist.

    Wer mochte diese große Blondine sein, die der Mann am Hotel gesehen hatte? Was ging in dieser Frau vor? Was plante sie? Wie würde es sein, wenn sie sich begegnen würden? Würde er dem Teufel selbst in die Augen sehen?
    Das Telefon klingelte, und Jan schoss wie von der Tarantel gestochen hoch. Noch vor dem zweiten Klingelton hatte er abgenommen.
    »Carla?«
    »Jan …«
    Es war eine schwache Männerstimme, fast ein Flüstern. Wie jemand, der Angst hat, lauter zu sprechen. Jan kannte diese Stimme, aber es dauerte einen kurzen Moment, ehe er sie zuordnen konnte.
    »Felix, bist du das?«
    »Hör mir bitte genau zu, ich habe nicht viel Zeit«, flüsterte der Pfarrer.
    »Könntest du bitte ein wenig lauter sprechen? Ich verstehe dich kaum.«
    »Das geht nicht«, kam die Antwort. »Sie ist jetzt hier bei mir. Gleich nebenan.«
    Jan spürte, wie ihn eine Gänsehaut überlief. » Wer ist bei dir?«
    »Bitte, ich muss es kurz machen. Ich werde jetzt gegen mein Schweigegelübde verstoßen, Jan. Es ist die schwerste Entscheidung meines Lebens, das kannst du mir glauben. Aber ich weiß, dass es richtig ist, und bin auch bereit, die Konsequenzen dafür zu tragen. Ich möchte es dir anvertrauen, weil du mein Freund bist. Du musst es wissen. Ich kann es nicht ertragen, dass noch einmal jemand in Gefahr gerät.«
    Jan umklammerte den Hörer fester.
    »Wovon redest du?«, fragte er, obwohl er die Antwort
bereits ahnte. Aber was sollte Felix Thanner mit Jana zu tun haben?
    »Ich weiß, wer die Frau ist, nach der du suchst. Sie hat sich mir in der Beichte anvertraut, aber ich kann mit diesem Wissen nicht mehr leben. Nicht, nachdem auch noch das mit deiner Freundin geschehen ist. Ich weiß, wer ihr das angetan hat, und bedauere es sehr, Jan. Es wäre nicht passiert, wenn ich schon früher den Mut gehabt hätte, mein Schweigen zu brechen.«
    »Wer ist es, Felix? Sag es mir.«
    Jan hörte ein tiefes Atmen. Fast glaubte er, Felix vor sich zu sehen, wie er zitternd den Hörer in Händen hielt und mit sich rang.
    »Diese Frau ist absolut wahnsinnig, Jan«, sagte er, »und sie ist gefährlich. Ich habe versucht, sie zu überzeugen, dass sie sich stellen soll, aber sie wird es nicht tun. Sie ist so voller Hass.«
    »Wer ist sie, Felix? Sag mir ihren Namen.«
    »Du musst nach Steinbach fahren«, flüsterte der Pfarrer. »Du findest sie im …« Er verstummte. Im Hintergrund war ein Poltern zu hören. Es klang, als würde jemand gegen eine Tür hämmern. Felix keuchte.
    »Tatjana.« Seine Stimme war kaum hörbar. »Ihr Name ist Tatjana Harder. Sie … Der Pfauenhof …«
    Ein lautes Krachen unterbrach ihn. Thanner kreischte.
    »Felix!« Mit jagendem Herzen lauschte Jan in die Stille. »Was ist los, Felix? Antworte mir!«
    Doch die Verbindung war unterbrochen.

65
    Starks Nummer war besetzt, also rief Jan direkt beim Fahlenberger Polizeirevier an. Er hatte die Zentrale nicht in seinem

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