Dunkler Winter
schießen kann«, sagte er.
Kaninchen. Natürlich. Ich warf einen Blick auf die Pfeile. Sie hatten die schmalen, konischen Stahlspitzen zum Durchschlagen von Panzern, und die Spitzen waren eingefettet. Gegen Rost, vielleicht, aber einer dieser Pfeile, von dem Langbogen abgeschossen, würde zehn Kaninchen hintereinander durchschlagen. Nun, wenn Raol mir nicht sagen wollte, was er war, war es seine Sache. Ich machte mich daran, die einzelnen Teile meiner Ausrüs tung zusammenzusuchen. Ich wollte nicht die vollständige Rüstung anlegen, nicht einmal, um Silvus zu er freuen, hol’s der Teufel. Kettenhemd über dem Unterzieh wams und Arm- und Beinröhren.
Als ich alles angelegt hatte, waren wir zum Weitermarsch bereit. Ich half beim Beladen des Fuhrwerks, dann sattelte ich das Ersatzpferd. Silvus beobachtete mich, ohne mir seine Hilfe anzubieten. Aus dem glei chen Grund hatte ich dem Grafen nicht geholfen. Ich kam zurecht.
Ich zog mich in den Sattel, Silvus saß auf, das Fuhrwerk setzte sich schwankend in Bewegung.
»Du übernimmst den Fluss«, sagte Silvus. »Ich werde mit der Schwester tauschen.« Und er trabte davon.
Wir nahmen die Marschordnung ein. Es regnete etwas weniger. Ich fühlte mich gut.
Im Laufe des Nachmittags ließ der Regen allmählich nach. Da und dort stießen Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke, und die Pferde dampften. Wir auch. Ich konnte meinen Umhang öffnen und darüber nachdenken, dass ich erst den Anfang der Herbstregen sah. Es würde noch schlimmer kommen.
Das galt auch für die Straße, soweit man davon reden konnte. Wir kamen an Schafhürden vorbei, die zur Som merweide aufgestellt worden waren und jetzt verlassen dalagen; sie waren der einzige Hinweis auf menschliches Leben, abgesehen von dem Fahrweg. Dieser verlor sich bald darauf in Moor und Heide, und unsere Vorhut übernahm neue Pflichten und schlug weitere Bogen, um eine befahrbare Strecke zu erkunden. Das verlangsamte unse ren Marsch.
Schwester Winterridge war zum Fuhrwerk zurückge fallen, um ihr Pferd zu schonen. Sie saß ab und führte ihr Pferd am Zügel. Es war ihre tägliche Übung. Vier Stunden später war sie noch immer dabei.
Ich fragte mich, was sie von uns denken mochte. Die weite Reise auf sich zu nehmen, um beinahe von Barras abgestochen und von Sandasti überfallen zu werden – und wofür? Um die ganze Strecke zurück zu marschieren und eine Verstärkung von neun Mann nach Ys zu brin gen. Wenn ich die zusammengesunkenen Gestalten auf ihren struppigen Pferden betrachtete, schien es mir kaum der Mühe wert.
»Was ist kaum der Mühe wert?«, fragte sie mit einem Blick über die Schulter. Ich merkte, dass ich laut ge dacht hatte. Sie wartete, bis ich gleichauf mit ihr gekom men war.
»Was Sie auf sich genommen haben, um uns zu holen.«
Sie blickte zu mir auf. »Ich beklage mich nicht über den Handel«, meinte sie. »Aber wir haben heute nur fünf Mei len geschafft, und von hier an geht es noch langsamer voran. Ich wünschte, wir könnten schneller marschieren.«
»Ist es so dringend?«
»Wenn man es mit dem Dunkel zu tun hat, ist es immer dringend.« Sie schwang sich wieder aufs Pferd. »Ein Stück voraus ist ein guter Lagerplatz. Ich werde ihn Silvus zeigen.« Ein Kniedruck, und ihr Pferd trabte an und ließ das Fuhrwerk und mich hinter sich.
Sie überholte den Grafen. Ich betrachtete seinen Rücken und wunderte mich, warum ich nie auf den Ge danken gekommen war, dass er so viel unbeugsame Ent schlossenheit und Beharrlichkeit in sich hatte. Sein Vater hatte jedenfalls nichts davon gehabt und war zu Haus geblieben, statt mit seinen Standesgenossen ins Feld zu ziehen. Sein Sohn zahlte dafür mit der allmählichen Auszehrung seiner Selbstachtung. Ich würde es schwer erträglich finden, ständig von einem Mann wie Nathan beobachtet zu werden, der nur darauf wartete, dass ich einen Fehler machte.
Nun, vielleicht war diese Reise für uns alle ein Fehler. Nur sah ich keine andere Möglichkeit. Nathan würde sich die Hände reiben, wenn wir jetzt umkehrten.
Am Abend schlugen wir unser Lager mit den üblichen Vorsichtsmaßnahmen auf, die jeder auf einem Marsch in fremdem Land ergreift: Wir nahmen die Umgebung in Augenschein, so lange es noch hell war, machten Feuer und stellten zwei Wachen auf, die außerhalb des Feuer scheins versteckt und still Augen und Ohren offen hiel ten. Ich zog zusammen mit Ruanes Knappen Hubert den kurzen Strohhalm: zweite Wache, nicht genug Zeit, vor her oder nachher wirklich
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