Dunkler Winter
ausbeißen.
Da und dort brannten noch Feuer, in deren Schein Schutthaufen und die Fundamente von Häusern zu er kennen waren. Es gab keine Stadtmauer. Die gepflasterten Straßen, jetzt von Schutt gesäumt und leer, waren schach brettartig angelegt. Zwischen ihnen gab es nichts als verkohlte Balken und Schutt, Steinhaufen und Reste ausge glühten Metalls. Die Stadt war tot, restlos zerstört, und nirgendwo war ein auch nur halbwegs brauchbarer Gegenstand zu sehen. Die Stadt glich einem geschwärzten Bratrost, den ein Riese achtlos weggeworfen und in den Boden getreten hatte. Und wenn es auf der Welt einen Riesen gab, der groß genug war, das zu tun, dann ragte seine Burg dort über der zerstörten Stadt.
Ys. Zuerst das Land: Der Fluss öffnete sich in einen schmalen Mündungstrichter, an dessen Südufer die Stadt sich ausgedehnt hatte. Wo der Fluss sich noch nicht ge weitet hatte, war eine Brücke geschlagen worden, aber sie war jetzt verschwunden. Das Land fiel zur See hin ziem lich steil ab, und am unteren Ende der Flussmündung erhob sich eine felsige Anhöhe als ein letzter Ausläufer und Vorposten des Bruchfaltengebirges: eine Felseninsel von wenigen hundert Schritten Länge und Breite, mit der Küste verbunden durch eine schmale Landzunge aus Sand und Schlick, die von den Meeresströmungen in Jahr tausenden abgelagert worden war.
Aber diese Landverbindung hatte man durch Abgrabungen unterbrochen und auf der kleinen Felseninsel hatte der Orden die Festung Ys erbaut. Mauern aus starken Steinquadern waren am Rand der See mit starken ei sernen Stiften im gewachsenen Fels verankert und festzementiert worden. Mauern, die selbst zu senkrechten Kliffs geworden waren, aus sorgfältig behauenen Steinblöcken, von denen jeder größer als ein einstöckiges Haus war. Die Festungsmauern waren so dick, dass Wurfmaschinen auf den mächtigen steinernen Plattformen der flankierenden Türme stehen konnten, zwanzig Mannshöhen über den Fundamenten. Aus solcher Höhe konnten diese Maschi nen mit den mächtigen Wurfarmen Steine vom Gewicht eines Pferdes über die Bucht werfen. Gewöhnliche Fes tungstürme wären unter den Stößen ihrer Entladungen rissig geworden und eingestürzt. Aber solche Dinge konnten den Türmen von Ys nichts anhaben. Keine Bela gerungsmaschine, die je gebaut worden war, konnte sie erschüttern.
Hinter den äußeren Mauern ragte ein weiterer Ring, und hinter diesem noch einer, nicht ganz so massiv, aber noch um einiges höher, sodass ihre Zinnen die äußeren Verteidigungswerke überblickten und die inneren Wehr gänge mit Feuer und Geschossen bestreichen konnten, sollte es den Belagerern gelingen, die äußeren Mauerringe zu überwinden. Aber wie, dachte ich staunend, wie würde es jemandem gelingen können, die äußere Mauer zu überwinden?
Sie ragte vor mir auf wie die Barriere am Ende der Welt. Die Straße führte gerade durch die zerstörte Stadt auf die Festung zu, als bildeten der Fluss und die Stadt beide keinerlei Hindernis. Wir folgten ihr, und ich konnte meiner Neigung, das Pferd zu zügeln und die Festung zu bestaunen, nicht nachgeben. Die Priorin hatte es eilig.
Ein Damm führte vom Festland hinaus. An seinem Ende überwand eine Zugbrücke die vom Meer umspülte Lücke zwischen der Landzunge und der Festungsmauer. Am Ende des Dammes reichten die schweren Eisenketten der Zugbrücke über zwei Steinsäulen zu beiden Seiten der Straße.
Auf der anderen Seite verschwanden die Ketten in kreisrunden, aus den mächtigen Quadern gehauenen Öffnungen. Die Zugbrücke selbst bestand aus soliden Holz bohlen und war breit genug, dass zwei Reiter nebeneinander hinüber reiten konnten, gerade breit genug für ein Fuhrwerk. Auf der Festungsseite befand sich das von zwei massiven, vorgeschobenen halbrunden Türmen flan kierte Tor, das von der hochgezogenen Zugbrücke ver schlossen wurde.
Unsere Hufschläge klapperten hinüber. Es war, als würden wir von einem Titanen verschluckt, als kä men wir in ein Bergwerk. Wir ritten in einen schmalen Schacht zwischen so hohen Wänden, dass der Himmel wie ein Band über unseren Köpfen lag; dann langten wir vor dem massiven Fallgitter an, das das eigentliche Tor von Ys schützte.
Das Gitter bestand aus schenkelstarken Bronzestangen und war bündig mit den massigen Quadern der Mauer verbunden, um einem Angreifer nicht die geringste De ckung zu gewähren. Jenseits des Gitters führte ein Tunnel zwanzig Schritte tief durch die Dicke der Mauer und endete an einem
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