Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkler Winter

Dunkler Winter

Titel: Dunkler Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Luckett
Vom Netzwerk:
Salzsümpfe und dahinter Wüstensteppe und die dort umherstreifenden primitiven Stämme des Camarg lebten selbst von der Hand in den Mund. Dort Vorräte zu be schaffen, war hoffnungslos. Und Wydemouth war Nathans westlichster Seehafen. Man konnte ihm zutrauen, dass er für eine wirksame Verteidigung gegen Angriffe von See her Sorge getragen hatte, und eine Flotte, die fern von ihrer Heimat operierte und von allem Nachschub ab geschnitten war, würde dort sicherlich nur geringe Er folgsaussichten haben.
    Also stand das Dunkel unter dem Zwang, Ys zu neh men und zum eigenen Stützpunkt zu machen, wenn sein Feldzug nicht scheitern sollte. Und für uns hieß es, Ys zu halten oder zu scheitern. Ich warf Schwester Winterridge einen weiteren Blick zu. Sie nickte grimmig.
    Plötzlich kam mir eine Erleuchtung. Ich hatte mich ge fragt, warum der Orden ein so fähiges Mitglied für ein anscheinend nutzloses Unternehmen riskiert hatte. Silvus hatte bestätigt, dass ihnen Nathans ablehnende Haltung zur Entsendung von Truppen bekannt gewesen sei. In diesem Fall hätte es genügt, einfach eine Botschaft zu schicken. Aber nun war es mir klar. Ich war bereit zu wet ten, dass sie über Wydemouth gekommen war und die Verteidigungseinrichtungen des Hafens überprüft hatte; und dass sie Auftrag gehabt hatte, auch Nathans militäri sche Stärke einzuschätzen und zu melden.
    Also bedeuteten wir, der Stolz von Tenabra, sozusagen das Abfallprodukt größerer Unternehmungen. Das war ein ernüchternder Gedanke. Im Weiterreiten beschäftigte ich mich damit.
    Die Perspektive veränderte sich, als wir die Vorberge verließen. Die Ebene kam uns entgegen, die Ausläufer der Berge blieben wie eine Reihe von Vorposten hinter uns zurück. Die Straße wurde breiter, der Verkehr auf ihr nahm zu, aber nur in der Gegenrichtung. Alles strömte aus der Stadt ins weitere Umland. Nicht in Panik; das hatte ich früher gesehen, wenn ganze Bevölkerungen vor anrückenden Armeen flohen. Dies war nicht das Gleiche. Es lagen keine Toten und Sterbenden an den Straßenrän dern, keine zurückgelassene, auf der Flucht hinderliche Habe, obwohl am Horizont der Unheil verkündende Rauch der brennenden Stadt stand. Soldaten der Stadt wache ritten hin und her und sorgten dafür, dass alles ge ordnet verlief, die Leute zusammen blieben und eine Stra ßenseite für den Gegenverkehr freihielten. Männer und Frauen gingen, alte Leute und Kinder saßen auf den Fuhrwerken, aber kein Fahrzeug war überladen und die Zugtiere schienen in guter Verfassung. So zogen die Ko lonnen an uns vorüber, ohne viele Worte, die Blicke auf die Vorberge gerichtet, die Gesichter grimmig, aber nicht ängstlich. Ich sah kleine Kinder weinen, vermutete aber, dass nicht der Verlust ihrer heimatlichen Umgebung der Anlass ihrer Tränen war, sondern die Unbequemlichkeiten und Einschränkungen der Reise.
    Schwester Winterridges Züge wirkten angesichts der Kolonnen noch verschlossener als sonst, mit schmalen Lippen und deutlich abgezeichneten Backenmuskeln, wie es bei einem tapferen Mann der Fall ist, wenn der Chirurg zum Messer greift. Das Gesicht der Priorin zeigte keine Regung. Sie blickte mit steinerner Miene geradeaus, so wie Silvus, der stocksteif und mit blutleeren Lippen im Sattel saß.
    Als der Abend kam, waren wir zwischen Feldern und Hecken, und die frühe Dunkelheit brach herein.
    Schwester Winterridge zügelte ihr Pferd. »Cordel«, verkündete sie. Es war ein weiteres Dorf, diesmal an der Mün dung des Flusses, dem wir gefolgt waren, in den Tanana. Nur ein paar Lichter waren zu sehen. War es noch zu früh? Nein. Als wir in das Dorf ritten, wurde klar, dass die meisten Bewohner es verlassen hatten. Aber es besaß eine Her berge. Der Orden unterhielt sie an allen Hauptstraßen in Abständen von einer Tagesreise. Eine Herberge, als Teil ihrer Steuern von der Gemeinde unterhalten.
    Wer sich unter diesen Herbergen Gasthäuser der üblichen Art vorstellte, mit Pferdeknechten, einer warmen Gaststube, Speisen und Getränken nach Wahl und Zimmern mit ordentlichen Betten, sah sich allerdings ge täuscht. Sie glichen eher Kasernen. Ein kalter Schlafsaal mit Strohsäcken, eine Küche mit sauber geschrubbten Kesseln und einem Brennholzvorrat. Keine Lebensmittel irgendwelcher Art. Wir mussten mit unserem mitgebrach ten Proviant vorlieb nehmen. Ich versorgte mein Pferd, aß und schlief; für mehr reichte die Kraft nicht.
    Als wir am nächsten grauen Morgen sattelten und wei terzogen, waren ein paar

Weitere Kostenlose Bücher