Dunkler Winter
Zitadelle zurückziehen und die Stufen hinter sich verbrennen.
Ein mühsamer und beschwerlicher Aufstieg, wie es bei der Anlage beabsichtigt worden war. Endlich gelangten wir in den uns zugedachten Saal. Hier war die Kran kenstation, und wir übergaben Hubert in die Obhut einer anderen Heilkundigen, die die Aufzeichnungen ihrer Kollegin las und dazu missbilligend oder sorgenvoll schnalzte. Dann ging es eine Wendeltreppe in der dicken Mauer empor zu einer zweiten und dann einer dritten Ebene, beide mit ordentlich aufgereihten Strohsäcken an den Wänden – und sauber wie ein Kiesel in einem Bachbett. Im Schlafsaal der dritten Ebene verteilten sich die Schwestern, legten ihr Gepäck ab und quartierten sich ein, ohne einen Augenblick zu streiten, wer welchen Schlafplatz bekommen sollte.
Schließlich wandte sich der Verwalter um, winkte uns und führte uns noch ein Stockwerk höher.
Hier endete die Wendeltreppe. Niemand sonst war in Sicht. »Machen Sie es sich bequem, meine Herren«, sagte der Verwalter. »Decken und Bettzeug werden heraufgeschafft, sobald die Fuhrwerke entladen sind. Garderobe dort. Schicken Sie jemanden um Wasser hinunter, und einen Koch zur Küche im Erdgeschoss, sobald der Ruf zum Abendessen ertönt. Ah… die Andacht findet später statt, aber es ist nicht erforderlich, dass Sie teilnehmen. Wünschen Sie noch etwas?«
Silvus sah sich nach mir um. Ich deutete ein Achselzucken an. Raol sah sich im hinteren Teil des Saales um. Eumas schien von der Frage keine Notiz genommen zu haben.
»Einen Führer«, sagte Silvus. »Und Befehle und eine Wachliste. Und den Namen des Offiziers, dem wir unterstellt werden.«
»Ach so, ja, nachdem Sie eine unabhängige Gruppe für sich sind… nehme ich an, dass es die Priorin selbst sein wird. Sie wird entscheiden, welche Wachen Sie überneh men werden. Sie können die Priorin zur Essenszeit spre chen. Sie speist mit den anderen im Saal, es sei denn, sie würde selbst eine Wache übernehmen.«
Silvus nickte, der Mann ging, und wir hatten Zeit, unser Quartier zu erkunden. Der Saal war eine Art Dachboden, und die für unsere Strohsäcke vorgesehene Fläche schien ziemlich beengt. Der größte Teil des Dachbodens diente als Lagerraum.
Große Fässer standen aufgereiht. Sie enthielten Essig und gewöhnliches Wasser, wie ich an den Zapfhähnen riechen konnte. Außerdem waren Kisten mit unbekann tem Inhalt, Taurollen und Gerätschaften verschiedener Art eingelagert. Die Decke über uns war aus festen Quadern gemauert und als Kreuzrippengewölbe ausgeführt. Eine schmiedeeiserne Leiter führte zu einer Falltür hinauf. Ich erkletterte sie und versuchte die Falltür mit den Schultern aufzustemmen, aber sie gab nicht nach. Sie war verriegelt.
Nach einer Weile hatte ich im Halbdunkel den Riegel gefunden und zurückgezogen, und diesmal ließ die Fall tür sich aufstoßen. Ich stieg hinaus und fand mich auf dem Dach des Bergfrieds der Festung Ys, wie ein Wurm, der aus einem Apfel kriecht. Silvus folgte mir. Er ging zur zinnenbesetzten Brustwehr und blickte hinunter.
Es war Nacht geworden. Die Brandung am Strand und um die Felsen lag im Mondlicht wie silberweiße Spitze am Saum eines tiefblauen Gewandes. Sterne glitzerten unvorstellbar weit über uns. Tief zu unseren Füßen und landeinwärts zeigten orangerote Glutnester, wo der Or den seine eigene Stadt niedergebrannt hatte. Etwas weiter zur Linken mündete der träge strömende Fluss in die See, wo feine Wellenriffel im Mondlicht schimmerten. Im Vor dergrund ragten die Mauern von Ys auf, schwarz und eckig, belebt von den gelben Lichtpunkten der Laternen, wo die Wachen die Brustwehren abschritten und in die Dunkelheit hinausspähten.
Einen Augenblick lang kam mir der Gedanke, wie es sein würde, wenn ich allein an diesem Platz auf dem Bergfried stünde und das Dunkel unter mir die Treppe heraufdrängte. Ich schüttelte mich und machte das alte Zeichen der Landleute zur Abwehr des Bösen. Der Nacht wind wehte kalt von der See herein, ein Westwind, der die Flotte des Dunkels bald nach Ys tragen würde. Silvus blickte in die gleiche Richtung.
»Kannst du im Wind das Dunkel wittern?«, fragte ich ihn, und er schüttelte den Kopf.
»Nein. Glücklicherweise nicht. Ich möchte heute Nacht schlafen.«
Gleichwohl blieb er eine Weile dort stehen und hob die Nase in den Wind. Nichts. Ich zog meinen Umhang fester um mich und er verstand die Andeutung. Wir stiegen hinunter und sorgten dafür, dass die Falltür hinter uns
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