Dunkler Winter
haben, die Verluste zu ersetzen. Außer als…«
Der Rest blieb ungesagt. Ich wusste, was die Ausnahme war.
Novizinnen brachten Wasser in Eimern herauf und wir tranken sparsam. Unten hinter der Brustwehr hätte ich meinen Kopf hineinstecken und mich satt trinken können, aber hier auf dem Bergfried verging einem der Durst in der Kälte.
Silvus bot mir schweigend seine silberne Taschenflasche an. Branntwein. Dankbar nahm ich sie an und trank einen Schluck. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass er noch welchen hatte.
Eine Stunde nach Mitternacht erfolgte der nächste Sturm. Wir wurden wieder an die Brustwehr gerufen, und alles wiederholte sich. Neue Sturmleitern wurden gesetzt, und die Angreifer drängten in dichten Reihen herauf, und wieder fielen sie schreiend in die Tiefe, bren nend, durchbohrt, zerhauen. Der Angriff dauerte Stunden, und unser Abwehrkampf wurde zu einer schreck lichen, grausamen Routine. Der Kopf einer Sturmleiter erschien zwischen den Zinnen, und während die Schwes tern zu Stangen und Hellebarden griffen, um sie zurück zustoßen, beugte sich einer der Tenabrer zwischen den Zinnen über die Mauer, durch Rüstung und Helmvisier gegen Pfeile und Bolzen geschützt, um brennendes Öl hinunterzugießen oder die heraufdrängenden Angreifer mit Steinbrocken und Lanzenstichen abzuwehren, bevor sie an der Mauerkrone Halt finden konnten. Wir eilten von einer Leiter zur anderen und nahmen uns kaum noch die Zeit, die Wirkung unseres Tuns zu beobachten. Ein brennend oder durchbohrt oder enthauptet abstür zender Körper gleicht weitgehend dem anderen, und in dieser Nacht sahen wir viele von den Leitern oder mit ihnen fallen.
Schließlich zog sich das Dunkel zurück, um in der Stunde vor Morgengrauen einen weiteren Versuch zu ma chen, diesmal angeführt von formlosen Klumpen wie Felsblöcken auf Beinen. Trolle. Aber Trolle sind schwer, keine gewandten Kletterer, und auch sie sind durch Feuer verwundbar. Es war das Gleiche. Wir setzten ihre Sturm leitern in Brand und stießen sie von den Mauern zu rück und sie schlugen zerschmettert auf die Steine oder plumpsten brennend in die rauschende Brandung. Nicht einmal das Wasser konnte die Flammen ersticken. Das goldene Feuer ließ sich nur mit Essig löschen.
Es wurde Tag und das Dunkel wich zurück. Die leeren Hüllen der Säue kauerten noch immer auf der Aufschüt tung, umgeben von zerschmetterten, teils geschwärzten Körpern. Viele andere hatte die See aufgenommen und mit einsetzender Ebbeströmung hinausgetragen, wo ihre schuppigen Bewohner ein Festmahl erwartete. Und die Festung stand unverändert. Die Mauern schienen unver ändert, ein wenig rußig, aber unbeschädigt. Wir konnten uns auf unsere Waffen stützen, die kalte weiße Morgen dämmerung beobachten und uns den Schweiß aus den Augen wischen. Allmählich setzte die Reaktion ein und das kalte Grausen zog mir den Magen zusammen.
»Hirnlos«, sagte ich zu Silvus.
»Das Dunkel ist so«, stimmte er mir zu, und wir vermieden es, einander anzusehen, denn jeder von uns teilte mit dem anderen die Scham. Ja, Scham. Dies war kein Kampf gewesen. Wir hatten sie abgeschlachtet wie arme, hilflose Tiere, und das war keine Arbeit für Soldaten. Nur Generäle als erfolgreiche Schlächter aus der Ferne konn ten sich dazu gratulieren lassen. Diese Horde hatte keine Chance, nicht gegen Feuer und unüberwindliche Mauern. Was für eine Art von Krieg war dies?
Wir meldeten uns ab, wurden entlassen und gingen zum Speisesaal, um ein Frühstück hinunterzuwürgen. Dann suchten wir unser Quartier auf, um zu schlafen. Am vergangenen Abend war die Kompanie sechsund vierzig Köpfe stark gewesen, jetzt waren es zweiundvier zig. Drei Verwundete, von denen eine wahrscheinlich nicht durchkommen würde. Eine Weitere hatte einen Armbrustbolzen in die Lunge bekommen und war tot, bevor sie zum Verbandplatz geschafft werden konnte. Schwester Hanna Amaire. Ich hatte nie mir ihr gespro chen. Bald würde sie eine Hand voll Asche in dem anonymen Scheiterhaufen sein, der gerade im inneren Burghof aufgeschichtet wurde.
Wir mussten uns zum Frühstück anstellen, obwohl ich weder Hunger noch Durst verspürte. Schwitzende Köchinnen gaben einen Schlag Haferbrei in unsere Scha len, dazu gab es getrocknete Äpfel. Auf Wunsch konnte man außerdem eine warme Semmel und Speck bekom men. Frühstück zu essen war ein Befehl. Nun, wenigstens war der Tee aus Rainfarn heiß und würzig und belebend. Wir aßen schweigend, ohne einander anzusehen,
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