Dunkler Zwilling
Meine Mutter kriegt einen Anfall, wenn sie sein Wolfskin-Label auf dem Parkett entdeckt.« Jonas nickte in Richtung Anbau, wo die Sanitär- und Heizungsbaufirma der Familie Hofmann untergebracht war. Der Vater war der Chef, die Mutter arbeitete im Büro. In dem kleinen Gartenbereich davor lag ein Teich, um den herum die trockenen Schilfhalme sorgfältig abgeschnitten waren.
»Habt ihr da Fische drin?«, fragte Max.
»Ich denke schon«, sagte Jonas.
»Kann es sein, dass da gerade einer fehlt?«
Jonas musterte Max, als zweifle er eindeutig an dessen Verstand. Max fixierte sein Gegenüber mit schmalen Augen. »Was weiß ich«, brummte Jonas. »Das Fischzeugs interessiert mich nicht.« Er wandte sich zur Tür. Gerade als er den Schlüssel in das Schloss stecken wollte, wurde von innen geöffnet.
Groß und breit stand Tobias, Jonas’ älterer Bruder, vor ihnen. Er musterte die beiden abschätzig. Vor allem an Max blieb sein Blick hängen. »Ah, Besuch«, sagte er wenig begeistert.
Neben ihm schob sich ein schlankes, großes Mädchen in den Türrahmen. Mit einer gekonnten Bewegung schnickte sie ihr langes Blondhaar zur Seite. »Hi«, quiekte sie mit Heidi-Klum-Stimme. Ein kleines Lächeln flog zu Max, was Tobias düster registrierte.
»Hi, Annalena«, erwiderte Max und lachte dabei nicht ihr, sondern Tobias ins Gesicht.
»Eigentlich ist es ganz günstig, dass ich dich treffe«, erklärte Tobias mit reglosem Gesicht. »Ich wollte dir sagen, dass ich deine Unterstützung bei der Sport-und-Spiel-AG ab nächstem Halbjahr nicht mehr brauche.«
»Ach, und wieso auf einmal?«, brauste Max auf.
»Weil Annalena das mit mir machen wird. Ich habe das bereits mit der Schulleitung abgesprochen. Die finden es auch besser, wenn ein Mädchen mit dabei ist.«
Max’ Gesicht wurde dunkelrot. »Und wieso redet man nicht mit mir? Wieso regelst du das einfach?«
Annalena zog sich hinter Tobias zurück. Der legte schützend den Arm um ihre Schultern und lächelte kühl. »Ich habe denen gesagt, dass du keine Zeit mehr hast. Ab Februar muss eh wieder ein neuer Vertrag gemacht werden. Du kannst ja eine andere AG aufmachen. Bei mir jedenfalls bist du raus und wenn du mal überlegst, ist das auch besser so für dich.«
Max trat einen Schritt vor. Jonas hielt ihn am Arm fest. »Wie willst du wissen, was besser für mich ist?«, schrie Max ihn an.
Tobias lächelte in Richtung Annalena. Sie verzog beschwichtigend das Gesicht. »Du musst dich mal davon lösen, alles das machen zu wollen, was Du-weißt-schon-wer auch gemacht hat«, erklärte Tobias betont ruhig. »Das tut dir nicht gut! Du musst eine eigene Persönlichkeit entwickeln! Oder weißt du schon nicht mehr, was das ist?«
Max wollte auf Tobias losgehen, doch Jonas packte ihn an beiden Armen und hielt ihn zurück.
»Tobias, nicht!«, mahnte Annalena leise.
Tobias mimte weiter den wohlmeinenden Pädagogen. »Warum nicht? Das musste doch mal gesagt sein. Ist ja nur zu seinem Besten!«
»Lass uns gehen!«, drängte Annalena. Sanft schob sie Tobias an, und er setzte sich in Bewegung.
»Gut, dann haben wir das ja geklärt«, triumphierte er im Vorübergehen.
Max starrte ihm mit Augen eng wie Schießscharten nach.
»Komm rein!«, sagte Jonas sanft und drückte die Eingangstür weiter auf.
Max bückte sich und zog Schorsch am Halsband zurück. »Danke, kein Bedarf! Ich habe keine Lust, die Luft zu atmen, die der Arsch verfurzt hat«, zischte er.
Kaum war Max um die Ecke verschwunden, kickte Jonas wütend gegen die Tür, dass sie schepperte. Die Mutter klopfte von innen gegen das Bürofenster und drohte mit dem Finger. Jonas schnitt eine finstere Grimasse in ihre Richtung.
Freitag, der 4. Januar
Dieser Tobias ist so ein A…. Ist das wirklich nur wegen Annalena? Ich will doch schon seit Jahrhunderten nichts mehr von der. Oder hat sie ihn angestachelt, weil sie ihm von mir vorgeschwärmt hat, so wie sie mir damals von Maurice vorgeschwärmt hat? Inzwischen weiß ich längst, dass sie eine Menge Märchen erzählen kann, wenn es um ihren Vorteil geht. Von mir aus kann er sie geschenkt haben.
Aber wieso dann plötzlich auch noch das mit der AG? Er und ich sind doch ganz gut klargekommen. Am Anfang hat er sogar gesagt, mit mir würde das viel besser hinhauen als mit Maurice. Ähnliches haben die Jungs gesagt, die in die Spiele-AG gekommen sind. Ich kam ganz gut zurecht mit denen, obwohl da ein paar ziemlich schräge Vögel dabei sind. Diese AG ist nämlich so eine Art soziale
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