Dunkles Feuer
regelmäßiges Gesicht und die dunkelblauen Augen wirkten nachdenklich und in sich gekehrt, obwohl er die ganze Zeit über Julie beobachtete. Ein amüsiertes Lächeln lag auf seinen Lippen, während er zusah, wie Julie konzentriert überlegte, ob sie auch wirklich alles mitgenommen hatte. In seinem Blick lag aber noch etwas anderes, als er Julie betrachtete - ein leichtes Bedauern und eine Art verborgene Sehnsucht. In ihrem luftigen Sommerkleid und mit den in sanften Wellen auf ihren Rücken und ihre Schultern fallenden dunklen, im Sonnenlicht leicht rötlich schimmernden Haaren, sah sie wirklich bezaubernd aus. Ihre Wangen waren von der Hitze leicht gerötet und in ihren großen, von dichten Wimpern umschatteten Augen spiegelte sich ihre innere Aufregung wider. Sie war einfach wunderschön.
Peter riss sich schnell zusammen, bevor er zu sehr ins Träumen geriet. Eigentlich war er mit der Art ihrer Beziehung recht zufrieden, wenigstens redete er sich das immer ein. Sie kannten sich schon lange, sehr lange. Und wenn man es genau bedenkt, hatte ihre erste Begegnung etwas sehr Romantisches an sich - Peter als hilfreicher Ritter in der Not - mal abgesehen davon, dass sie beide noch Kinder gewesen waren.
Er war gerade vierzehn geworden, als in das Nachbarhaus endlich eine neue Familie eingezogen war. Er erinnerte sich noch, wie sehr er sich damals gewünscht hatte, es möge eine Familie mit einem gleichaltrigen Jungen sein. Denn obwohl es in der Nachbarschaft viele Jungs gab, hatte Peter mit ihnen praktisch nichts gemeinsam. Wie enttäuscht war er damals gewesen, als statt eines gleichaltrigen Jungen ein neunjähriges Mädchen mit seiner Familie in das Haus eingezogen war! Er hatte sie von Anfang an geflissentlich ignoriert, denn irgendwie hatte er in seiner kindischen Enttäuschung ihr die Schuld dafür gegeben, dass sie ein kleines Mädchen und kein Junge war. Vielleicht wäre es auch dabei geblieben und sie hätten sich niemals näher kennen gelernt, denn auch Julie, die seine Abneigung zwar nicht verstand, aber deutlich spürte, versuchte, ihrem finsteren Nachbarn nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen.
Doch eines Tages hatte Peter auf dem Rückweg von der Schule gesehen, wie zwei von den Nachbarjungs das kleine Mädchen eingekreist hatten und seine Mütze, denn es war im Winter, fröhlich lachend zwischen sich hin und her geworfen hatten, während das Mädchen, schon ganz in Tränen aufgelöst und der Verzweiflung nahe, der Mütze hinterher gerannt war.
Mädchen oder nicht, aber das ging deutlich zu weit! hatte Peter damals gedacht und außerdem hatte er die beiden Jungs sowieso nicht leiden können, weil sie ihn nie mitspielen ließen. Voll gerechten Zorns war er also auf sie zugestürmt. Indessen hatte das kleine Mädchen seinen Widerstand verzweifelt aufgegeben und wimmerte nur noch leise vor sich hin, was immer wieder Anlass zu heftigen Heiterkeitsausbrüchen ihrer Peiniger gegeben hatte. Das Lachen war ihnen jedoch vergangen, als sie Peter gesehen hatten.
»Mist, da ist der schon wieder, lass uns lieber verschwinden!« hatte einer der Jungen gerufen und war weggerannt. Mit einem abschätzenden Blick auf Peter hatte sich der Zweite kurzerhand entschlossen, dem Beispiel seines Freundes Folge zu leisten. Denn obwohl sie zu zweit gewesen waren, hatten sie keine Lust gehabt, es auf einen Kampf mit Peter ankommen zu lassen.
Als die Jungs weg waren, hatte Julie den Kopf hochgehoben und sich hoffnungsvoll, wenn auch noch ein wenig ängstlich umgesehen, da sie nicht wusste, was sie nun von ihrem sonst so grimmigen und abweisenden Nachbarn zu erwarten hatte. Andererseits hatte sie sich schon gedacht, dass er sie nicht gerettet hätte, wenn er wie die anderen gewesen wäre.
Und als Peter in dieses kleine Gesicht geblickt und ihn der Blick dieser schon damals bemerkenswerten, aber total verheulten Augen getroffen hatte, da hatte sich etwas in ihm geregt, und er hatte instinktiv gewusst, dass er diesen Blick niemals vergessen würde, denn in ihm waren soviel Dankbarkeit, Freude und ein so grenzenloses Vertrauen gewesen, dass Peter sich unwillkürlich gefragt hatte, ob das alles wirklich ihm galt.
Dieser inneren Regung folgend war er auf Julie zugegangen, hatte ihr aufgeholfen, ihr sorgfältig die kleine Mütze auf den Kopf gesetzt und sogar die Tränen aus ihrem Gesicht gewischt. Das war damals der Beginn einer Freundschaft gewesen, die noch Jahre später nichts von ihrer Intensität eingebüßt hatte, und die sich für beide
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