Dunkles Geheimnis
wird doch nicht so zugeschminkt ins Bett gehen?“, bemerkte ich und steckte mir ein Stück Torte in den Mund.
„Oh doch, sie hat ein Date mit dem Sandmännchen“, sagte Mama.
Ich kicherte.
In der nächsten Szene telefonierte die Schlafpuppe mit einem dunkelhaarigen Typen. Er befand sich in einem lärmenden Pub, und das passte ihr nicht. In ihren Klimperwimpern glänzten Tränen.
Mama griff nach der Fernbedienung und senkte die Lautstärke.
„Wie war’s in der Schule?“, fragte sie.
„Okay.“
„Irgendwas Besonderes passiert?“
„Nöö“, sagte ich.
Das kam ganz automatisch. Wenn es um mich geht, reagiert Mama ziemlich empfindlich. Hätte ich ihr erzählt, was heute in der Schulevorgefallen war, hätte sie garantiert sofort Bjarne Lund, Per Lundström und den Rektor angerufen und das Ganze wäre megapeinlich geworden.
„Ach doch, ein neuer Junge hat bei uns angefangen.“
Auf der Mattscheibe ging die Tür zum Schlafzimmer auf. Der dunkelhaarige Typ kam herein und ging mit schnellen Schritten auf das Mädchen im Bett zu.
„Wie heißt er?“
„Anton.“
„Wirkt er nett?“
Das fand ich zwar nicht, aber es gab andere, die ihn zu schätzen schienen.
„Kann sein.“
Der Typ strich dem Mädchen über die Perücke, bevor er ihre rougerote Wange streichelte. Dann sagte er etwas zu ihr, woraufhin sie zurückfuhr.
„Putz dir die Zähne!“, sagte Mama mit verstellter Piepsstimme. „Du stinkst ja wie eine ganze Bierbrauerei!“
Ich musste wieder kichern.
„Was ist das für eine Serie?“
„Keine Ahnung“, sagte Mama und schaltete ab. „Vielleicht eine Informationssendung darüber, was passieren kann, wenn man bis an die Ohren zugeschminkt ins Bett geht.“
Sie schaute hinaus.
„Schönes Wetter heute. Wollen wir mit Wuff einen kleinen Spaziergang machen?“
Das war eine Überraschung. Mamas Atelier liegt am anderen Ende des Hauses, und sie kommt meistens nur heraus, um Mittag zu essen oder sich eine Tasse Kaffee zu holen. Und dann hat es keinen Sinn, sie anzusprechen. Sie antwortet nur mit „hm“ und „mhm“, und es ist ihr deutlich anzusehen, dass sie nicht zuhört.
Oder sie schaut mich erstaunt an, als würde sie sich fragen, was ich hier tue.
Erst gegen Abend landet sie wieder in der Wirklichkeit. Dann ist siewie alle anderen Mütter auch und will hören, wie der Test in der Schule ausgefallen ist oder ob ich im Training viele Tore geschossen habe.
Es kommt selten vor, dass wir zusammen spazieren gehen. Papa ist derjenige, mit dem ich meine Joggingrunden drehe, schwimmen gehe oder Rad fahre. Aber mit Wuff trabe ich immer alleine durch die Gegend.
Doch das macht nichts. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die immer in Gesellschaft sein müssen. Ich fühle mich allein auch wohl.
Aber heute brauchte ich jemanden, mit dem ich reden konnte.
„Gern.“
Mama zog sich um, dann gingen wir nach draußen.
Die Sonne wärmte immer noch und brachte das flammend gelbe und rote Herbstlaub der Bäume und Büsche zum Leuchten. In einem Nachbargarten verbrannte ein älterer Mann mit Schildmütze Zweige in einem Fass, aus dem der Geruch hochstieg und durch die Luft schwebte. Der Mann winkte uns zu.
„Ist Bjarne Lund noch an der Schule?“, fragte Mama, während wir zurückwinkten.
„Ja, aber am Donnerstag kriegen wir einen neuen Sportlehrer.“
„Wie heißt er?“
„Ted … irgendwas. Den Nachnamen hab ich vergessen.“
„Und wie ist das für dich?“
„Weiß nicht so recht.“
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie mich musterte, aber ich drehte mich nicht zu ihr um. Ich war mir zwar nicht sicher, ob der neue Lehrer sich gegen die ausgesiebten Jungs, vor allem Tobias, würde behaupten können, hatte aber keine Lust, diese Überlegungen jetzt zu äußern.
„Und wie geht es Alex und Jo?“
„Gut.“
„Ist Jo immer noch mit ihren Pferden auf Turnieren unterwegs?“
„Ja.“
„Und Alex?“
„Warum fragst du?“
Bestimmt ahnte sie, dass mit Alexander und mir nicht alles zum Besten stand. Aber um darüber reden zu können, musste ich selbst erst wissen, was los war.
„Nur so“, sagte sie enttäuscht.
Wir überquerten die Straße und gingen weiter zum Fitnesspfad am Brosee, wo Wuff frei laufen durfte. Vom höchsten Punkt des Pfads konnte man auf den gekiesten Parkplatz unten am See hinunterschauen. Dort stand ein einziges Auto, ein Volvo-Kombi mit einem großen Hundekäfig im Heck.
Kurz bevor wir unten ankamen, sah ich einen großen unregelmäßigen schwarzen Fleck
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