Dunkles Geheimnis
Fliege in der zu weichen Nutella kleben bleibt, weil Martin vergessen hat, den Deckel wieder draufzuschrauben.
An dem, was diesen Sommer geschah, ist auch Martin schuld. Zumindest, was mich betrifft. Denn ohne ihn hätte ich die Geschichte nicht so hautnah mitbekommen. Und womöglich wäre sie dann ganz anders ausgegangen. Schlimmer. Viel schlimmer. Wobei – etwas Gutes hatte es ja auch ...
Aber der Reihe nach.
Martin ist Archäologe und Experte für altägyptischen Schmuck. Bis vor Kurzem hat er sich meistens in irgendeinem Erdloch in der ägyptischen Wüste herumgetrieben, wo er die Lizenz zum Grabräubern hat. Im Nebenberuf ist Martin mein Vater und hat die Lizenz, mich zu erziehen. Aber davon hatte er nie wirklich Gebrauch gemacht, sondern den Job immer meiner Mutter überlassen, bis sie nach fünfzehn Jahren die Schnauze voll hatte vom Allein-Erziehen und vom Leben in der norddeutschen Provinz. Zwischen Weihnachten und Silvester ist Britta, also meine Mutter, abgehauen. Nach Berlin und mit Benno. Benno ist nicht unser Hund. Der heißt Jasper und ihn hat sie dagelassen. Benno ist ihr Lover.
Er ist etwas mehr als halb so alt wie mein Vater und hat doppelt so viel Zeit für sie. Vor allem jetzt, wo er nicht mehr mein Fechtlehrer ist. So jedenfalls hat Britta ihre Landflucht begründet und mich gefragt, ob ich nicht mitkommen will nach Berlin. Immerhin ein Zeichen, dass sie nicht auch von mir die Schnauze voll hat. „In Berlin tobt der Bär“, hat sie gesagt. Aber ich hab keine Lust auf Berliner Bären. Schon gar nicht auf Benno-Bär, mit dem sie herumturtelt, als wäre sie nicht 42, sondern so alt wie ich. Es reicht, wenn ihre Hormone in Berlin Amok laufen. Mit meinen plage ich mich lieber hier herum. Da kriegt es wenigstens keiner mit. Ich bin gerade sechzehn geworden und jetzt nämlich eine Frau, wie Martin sagt. Immerhin hat er das inzwischen kapiert! Dabei hatte ich bis vor Kurzem den Eindruck, er kann eine Frau nicht von einer korinthischen Säule unterscheiden.
Weil Mama das Weite gesucht hat, war er gezwungen, den Nahen Osten zu verlassen und nach Hause zu kommen in den hohen Norden, wie es in den Touri-Prospekten immer so schön heißt. In Ägypten buddeln sie jetzt ohne ihn weiter, während er eine Stelle als Leiter der Ägyptischen Abteilung im Hamburger Völkerkundemuseum ausgegraben hat. Irgendwer musste schließlich für mich da sein. Und zur Abwechslung ist jetzt Martin dran, sagt Mama.
Nun fährt er jedenfalls jeden Morgen eine Stunde bis zu seinen Mumien und Tonscherben und nimmt mich in seinem schrottigen Jeep mit bis Blankenese, wo meine Schule steht und wo Oma wohnt. Umziehen Richtung Stadt will er nicht. Einöde ist er von der ägyptischen Wüste gewohnt, sagt er, und die Hektik der Stadt verträgt er nicht mehr. Das führt dazu, dass ich am Wochenende in meinem unterirdischen Kaff „Wetten, dass ...?“ oder sonst irgendeinen Mist gucken darf, während meine Klassenkameraden bis morgens um vier den Hamburger Kiez unsicher machen. Heute zum Beispiel.
Im Prinzip könnte ich auch bei Oma in Blankenese übernachten, aber da muss ich spätestens um eins zu Hause sein. Andere Uhrzeiten hält sie nicht aus, sagt sie, und außerdem sei das sowieso grober Unfug bei Sechzehnjährigen. Insbesondere solchen, die nur 1,58 Meter und fünf Millimeter klein sind und dabei noch nicht mal fünfzig Kilo auf die Waage bringen. So wie ich. Wo bitte ist da die Logik? Als ob meine Körpergröße was damit zu tun hätte, wie lange ich abends weggehen kann. Ein Uhr!! Dann kann ich’s auch gleich ganz lassen.
Von Martins Zweieinhalb-Zoll-Bildschirm grinst mich Markus Lanz an, dieser perfekte Schwiegersohn. Und draußen pisst es wie blöd, Verzeihung: Es regnet Bindfäden. Mama kann es nicht ausstehen, wenn ich diese „Prollwörter“ benutze. Es pisst aber trotzdem. So wie vor drei Monaten, als das alles anfing. Dazu heult der Wind jetzt um die Ecken und reißt die Herbstblätter von den Bäumen, die sich wie gelborange nasse Lappen auf alles draufkleben, was noch vom Sommer draußen rumsteht. Der ideale Zeitpunkt also, um mit meiner Geschichte anzufangen ...
1
Es war Anfang Juli. Wir hatten vier Wochen Dauerregen hinter uns und Martin war drauf und dran, seinen neuen Job im Museum aufzugeben und mit mir in die Wüste zu ziehen. Bis ihm eine weniger aufwendige Alternative einfiel. Er sei reif für die Insel, verkündete er eines Abends in Hochstimmung, während ein Rinnsal aus seinem klitschnassen
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