Dunkles Geheimnis
Regenmantel sich auf dem Dielenboden zur Pfütze mauserte. „Wir fahren nach Sylt.“
„Wann?“
„Übernächste Woche, wenn deine Ferien anfangen.“
„Das ist jetzt nicht dein Ernst.“
„Selbstverständlich ist das mein Ernst. Sylt ist meine Lieblingsinsel, das weißt du doch.“
„Aber nicht meine.“
„Wart’s ab. Das gibt sich noch.“ Und damit war die Sache entschieden. Für ihn jedenfalls.
Sylt. Ausgerechnet. Ich war auch reif für die Insel, aber nicht für diese. Gegen ein Eiland zweitausend Kilometer weiter südlich hätte ich ja nichts einzuwenden gehabt, aber Sylt, dieser sandige lange Haken in der Nordsee, der nur schlappe zweieinhalb Stunden von hier entfernt und damit wahrscheinlich auch gerade unter einer fetten Regenfront liegt – Sylt war komplett daneben. Schon deshalb, weil die betuchteren unter meinen Klassenkameraden, beziehungsweise ihre Erzeuger, dort eine Zweitwohnung haben oder ein Zweithaus. Oder einen Zweitortsteil. Was weiß ich. Jedenfalls waren das mit Abstand die Letzten, denen ich in den Ferien begegnen wollte mit ihren Hilfiger-Klamotten, ihren Hockeyschlägern und ihren Abercrombie&Fitch-Sweatshirts, die Papi von seinen Business-Trips in die Staaten gleich im Dutzend mitbringt. (Mein Vater hat mir nur mal so ein Hemd mitgebracht, wie es sich die Touris für ihre Nilfahrten aufschwatzen lassen. Aber Folklore kommt nicht so gut in meiner Klasse, noch nicht mal als Pyjama. Seit vorletztem Sommer trägt es Brittas Vogelscheuche zwischen den Erbsen auf.)
Früher war das alles anders auf Sylt, sagt Martin. „Wir sind dort richtig verwildert und so was wie Lifestyle gab’s noch nicht.“ Sylt ist die Insel seiner Kindheit, wo er zusammen mit seiner Schwester Christina die Ferien regelmäßig bei seiner Lieblingstante Hedi, meiner Ende Mai verstorbenen Großtante, verbrachte. In ihrem Häuschen in List am nördlichen Ende von Sylt, wo die Insel sich zum Haken krümmt. Später, als ich klein war, hat er keine Zeit mehr gehabt für Besuche auf Sylt. Ich war bisher nur zweimal da gewesen, und auch das nur übers Wochenende, von denen eines total nass und stürmisch war. Und natürlich bei der Trauerfeier für Tante Hedi, obwohl ich sie nicht wirklich gut gekannt hatte.
Dass Ferien auf Sylt gleichbedeutend mit großer Freiheit und draußen leben sein sollten, wie Martin mir weismachte, konnte ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen. Nachvollziehen kann ich bloß, dass von Sylt wahrscheinlich seine Vorliebe für die Wüste kommt, die sich von diesem nordfriesischen Sandhaufen nur durch den Mangel an Möwen und an Regentropfen unterscheidet. Und durch die Größe natürlich.
Heutzutage ist auf Sylt gerade mal die Luft gratis, und auch das nur hinter den Dünen. Der Sandstrand mitsamt der gesunden jodhaltigen Luft darüber kostet schon Eintritt, auch bei schlechtem Wetter. Kurtaxe nennen sie das, und sie beinhaltet, dass alles verboten ist, was Spaß macht. Durch die Dünen laufen, Sandburgen bauen, mit dem Hund spazieren gehen, wo man will ... Inklusive sind nur der Wind und das Wetter.
„Ist doch durchaus berechtigt“, findet Martin. „Wer beschwert sich denn sonst täglich über ‚diese Luft hier mit Güllefaktor 1000‘? Außerdem kostet Inselschutz eben Geld.“
Komisch nur, dass eine Insel weiter, auf Rømø, dieser sogenannte Inselschutz keine müde Öre kostet, geschweige denn einen Cent. Aber Rømø ist eben dänisch, und in Dänemark gibt es so viele Inseln, dass man nicht jede einzelne davon mit Vorschriften einzäunen muss. Und sie gehen dort auch nicht durch Sandburgen-Bauen kaputt oder durch Knutschen in den Dünen. Rømø ist ja auch nur eine bessere Sandbank, sagt Martin dazu.
„Ich hab aber keinen Bock auf Spaziergänge in der Matsche in gelbem Ölzeug und mit Gummistiefeln an den Füßen. Außerdem ringeln sich dort meine Haare wie die von Whoopi Goldberg. Kann ich nicht zu Hause bleiben?“
„Die Matsche nennt man Watt, wie du weißt. Allein zu Hause bleiben kommt nicht infrage und deine langen braunen Locken sind so wunderschön wie die von deiner Mutter. Auch, wenn’s regnet, Helena.“
HELENA. Wenn Martin mich Helena nennt, wird’s ernst. Das Helena hat nämlich er zu meinem Namen beigesteuert. Nach dieser griechischen Miss Universum, wegen der sich vor zweieinhalbtausend Jahren oder so zwei Kerle derartig in die Haare kriegten, dass sie den Trojanischen Krieg anzettelten, in den dann prompt halb Griechenland verwickelt war. Ob es
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