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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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zu können. Mir aber schlotterten die Knie und mein Adamsapfel in der Kehle ließ sich weder aufwärts noch abwärts bewegen. Der Weg jenseits des Brunnens wurde immer besser, wenn er auch noch von dichtem Gras flankiert war, und führte mich schließlich zu einer Priesterhütte, die in einer kleinen Lichtung stand. Als der Gosain mein totenbleiches Gesicht erblickte, heulte er auf vor Schrecken, fiel nieder und umklammerte meine Stiefel. Ich taumelte auf die Lagerstätte zu, die vor seiner Hütte stand, und ließ mich darauffallen, Mister Wardle sprang ebenfalls hinauf, um mich zu bewachen. Ich selbst fühlte mich außerstande, Sorge um mich zu tragen.
    Als ich aus meiner Betäubung erwachte, befahl ich dem Priester, mich ins Freie zu führen und langsam vor mir herzugehen - hinaus aus dem Arti-goth. Mister Wardle haßt Eingeborene, und der Gosain fürchtete sich vor ihm mehr als vor mir, trotzdem ich grimmig genug dreinschaute. Ganz langsam schritt er vor mir her den schmalen Pfad entlang, der mit einem Mal in drei Richtungen abzweigte; alle drei liefen dem Lachenden Brunnen zu! Einmal, als ich stehenblieb, um Atem zu schöpfen, hörte ich deutlich wieder das höllische Kichern. Am liebsten hätte ich dem Priester die beiden Flintenläufe in den Rücken geschossen, aber ich brauchte seine Dienste zu nötig!
    Als wir dann ins Freie gelangten, stürzte der Gosain schnell wieder in sein Gestrüpp zurück, und ich ging in das Dorf bei Arti-goth, um mir etwas zu trinken zu verschaffen. Ich fühlte mich überglücklich, wieder den freien Horizont sehen zu können und festen Boden unter meinen Füßen zu wissen.
    Die Dorfbewohner sagten mir, das ganze Dschungelgrasland sei bewohnt von Teufeln und Geistern, die sämtlich im Dienste des Gosains stünden, und daß häufig Männer, Weiber und Kinder verschwänden, wenn sie das Dickicht betreten hätten, um nie mehr wiederzukehren. Der Priester brauche ihre Leber, behaupteten sie, um Hexerei damit zu treiben. Als ich sie fragte, warum sie mir das nicht gleich gesagt hätten, meinten sie, es wäre ihnen dann das Trinkgeld für weitere Nachrichten über den Verbleib der Wildsau entgangen.
    Bevor ich ging, versuchte ich noch mein bestes, das Dschungel in Brand zu stecken, aber das Gras war noch zu grün. Ein paar heiße Sommertage und ein günstiger Wind, und ich werde mittels einiger Bogen Zeitungspapier und einer Schachtel Streichhölzer das Geheimnis des Pfades zum Lachenden Brunnen enthüllen können!

Die Juden in Shushan
    Meine erst vor kurzem gekauften Möbel waren, gelinde ausgedrückt, unzuverlässig, die Sessel verloren die Beine, und bei der geringsten Belastung kippten die Tischplatten von ihren Gestellen. Aber, so oder so, sie mußten bezahlt werden, und Ephraim, der Agent und Geldeintreiber des städtischen Auktionators, wartete bereits draußen auf der Veranda mit der Quittung. Mein Diener hatte ihn als: Ephraim Yahudi - Ephraim, der Jude - gemeldet. Wer da glaubt, alle Menschen seien Brüder, der hätte hören sollen, wie mein Elahi Bukhsh das Wort »Jude« zerbiß mit seinen weißen Zähnen und soviel Ingrimm, wie er vor mir, seinem Herrn, zu zeigen wagte. Ephraim war, was das Äußere betraf, so mild und unterwürfig, daß man gar nicht verstand, wieso er auf den Beruf eines Rechnungseintreibers hatte verfallen können. Er sah aus wie ein gemästetes Schaf und seine Stimme paßte vortrefflich zu seiner Gestalt. Auf seinem Gesicht lag wie eine starre Maske der unveränderliche Ausdruck einer kindlichen Verwunderung; bezahlte man ihn ohne Widerspruch, so konnte er nicht genug staunen, wie reich man sei, und schickte man ihn fort, so blickte er verwirrt drein ob solcher Hartherzigkeit. Wohl noch nie gab es einen Juden, der so aus seiner Art geschlagen schien. Er trug eingesäumte Pantoffel und Rupfenkleider, die derart aufdringlich gemustert waren, daß selbst der abgebrühteste britische Subalterne vor ihnen lautlos die Flucht ergriffen hätte. Seine Rede war langsam und gemessen; jedes Wort wog er sorgfältig ab, bevor er es aussprach, ob es auch niemand beleidige. Nach einigen Wochen fühlte er sich gedrängt, über seine Freunde mit mir zu sprechen.
    »Wir sind unser acht in Shushan«, begann er, »und wenn wir zehn sein werden, dann reichen wir in Kalkutta ein Gesuch ein, daß man uns eine Synagoge bewillige. Dann werden wir von Kalkutta Abschied nehmen. Heute besitzen wir keine Synagoge und ich bin Priester und Schächter meines Volkes in einer Person. Ich

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