Dunkles Indien
schlagen hören können, so lautlos machten die Offiziere dem Manne Platz, wie er langsam im Speisesaal umherwanderte. Keinem fiel es mehr ein, den Wachposten zu rufen.
Wieder sprach da der Mann - mit zögernden Worten: »Wo - wo ist - unser Pferd?«
Es gab nur ein Bild eines Pferdes bei den Weißen Husaren und es hing an der Tür draußen vor dem Speisesaal. Es stellte den Schecken des Trommlers dar, des Königs der Regimentsmusik, und hatte siebenunddreißig Jahre lang treu gedient, bis es wegen Altersschwäche erschossen werden mußte. Sofort rissen einige der Herren das Bild von seiner Stelle und reichten es dem Manne hin. Er nahm es und stellte es - auf das Kaminsims. Dann taumelte er an das Ende der Tafel und sank in Mildreds Stuhl. Ein Stimmengewirr erhob sich: »Seit dem Jahre 67 hat das Trommlerpferd nicht mehr über dem Kaminsims gehangen!« - »Wie kann er das wissen!?« - »Mildred, geh, sprich doch noch mal mit ihm!« - »Oberst, was gedenken Sie zu tun?« -»So schweigt doch! Laßt dem armen Teufel Zeit, zu sich zu kommen.« - »Das wird er nie, er ist doch wahnsinnig!«
Der kleine Mildred trat zu dem Obersten und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann wandte er sich an die Gesellschaft und sagte laut: »Ich bitte die Herren, wieder alle ihre Plätze einzunehmen!« Es geschah. Nur Dirkowitschs Sessel blieb leer. Der kleine Mildred setzte sich in Hira Singhs Stuhl. Unter allgemeiner Totenstille füllte der diensthabende Sergeant, die Augen weit aufgerissen, die Gläser. Wieder, wie vorher am Schlusse des Banketts, erhob sich der Oberst, faßte sein Glas, aber seine Hand zitterte, so daß der Wein auf den Tisch floß, und rief mit heiserer Stimme, den am Ende der Tafel in seinem Sessel zusammengesunkenen Mann anstarrend: »Herr Stellvertreter! Die Königin!« Eine bange Pause folgte, dann sprang der Mann auf und antwortete ohne zu stocken: »Die Königin! Gott segne sie!« Und als er das Glas geleert hatte, brach er mit den Fingern den Stiel ab.
Vor langer, langer Zeit, als die Kaiserin und Königin noch eine junge Frau war und es noch keine falschen Ideale im Lande gab, war es bei gewissen militärischen Liebesmahlen Sitte gewesen, nach solchen Toasten die Stiele der Trinkgläser abzubrechen zum Entzücken aller Heereslieferanten, aber diese Sitte besteht jetzt nicht mehr; weswegen sollte man auch etwas zerbrechen! Höchstens - brechen, und das besorgt die Regierung selber, besonders wenn es das Brechen eines gegebenen Wortes anbelangt.
»Das löst das Rätsel«, sagte der Oberst aufatmend, »er ist kein Sergeant. Aber was, in aller Welt, ist er denn?«
»Ja, was ist er?« rief alles wie aus einem Munde und eine Flut von Fragen erhob sich. Kein Wunder, daß der zerlumpte, schmutzbedeckte Eindringling es nur zu einem verständnislosen Lächeln und Kopfschütteln brachte.
Da kroch Dirkowitsch, wahrscheinlich aus gesundem Schlummer erweckt durch Füße, die unabsichtlich auf seinem Körper herumgetrampelt hatten, unter dem Tisch hervor. Auf seinem Gesicht lag ein seliges Lächeln. Er tauchte dicht neben dem Manne auf, aber kaum hatte ihn dieser erblickt, so schrie er laut auf und krümmte sich unter seinen Lumpen in wildem Entsetzen. Es war ein grausiger Anblick nach dem erhebenden und feierlichen Trinkspruch, der die verwirrten Sinne so schnell beruhigt hatte.
Dirkowitsch rührte keinen Finger, um dem Unglücklichen zu helfen, dafür sprang Mildred auf und stützte ihn. Es schickt sich nicht, daß ein Gentleman, der einen Toast auf die Königin auszubringen imstande ist, einem subalternen Kosakenoffizier zu Füßen liegt!
Durch das hastige Zugreifen Mildreds war dem Manne der obere Teil seiner Bekleidung fast bis zum Gürtel aufgerissen worden. Sein Körper war über und über bedeckt mit schwarzen trockenen Narben! Es gibt nur ein Instrument in der Welt, das solche parallel laufende Striemen reißt. Weder Dornen noch Katzenkrallen bringen dergleichen hervor! Dirkowitsch erblickte sie, und seine Augen erweiterten sich. Auch in seinen Mienen ging eine merkwürdige Veränderung vor. Er sagte etwas, das klang wie: »Shto ve takete?« und sofort hauchte das Lumpenbündel unterwürfig: »Chetyre.«
»Was heißt das?« schrien alle durcheinander.
»Das ist seine Nummer. Nummer vier, wjissen Sie«, erklärte Dirkowitsch mit schwerer Zunge.
»Was hat ein Offizier Ihrer Majestät der Königin mit einer Nummer zu tun?« fragte der Oberst in schneidendem Ton; ein drohendes Murmeln lief um den Tisch.
»Wjie
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